Frage an Rico Walter-Bretschneider von Friedrich P. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Walter-Bretschneider,
der Bildungsmonitor 2019 zeigt uns im Dynamikranking folgende Inhalte für Sachsen:
P8 in Beruflicher Bildung / Arbeitsmarktorientierung
P10 in Hochschule / MINT
Der Beitrag des beruflichen Bildungssystems zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie der Anteil neu abgeschlossener Ausbildungsverträge und unbesetzter Stellen an der Gesamtzahl der 16-20jährigen Personen hat sich verschlechtert.
Wir haben zahlreiche (harmlos ausgedrückt) offene Ausbildungsstellen bei gleichzeitig zu vielen Schulabgängern ohne Ausbildungsstelle. Woran kann das liegen, was sind Ihre Ideen, um das zu verbessern?
"Immer mehr Schulabgänger mit Abitur in Sachsen gehen in eine duale Berufsausbildung im Handwerk statt an die Uni [...] Laut Statistik wurden 2018 im Freistaat 808 und damit 15,8 Prozent der insgesamt 5106 neu geschlossenen Lehrverträge mit Abiturienten besiegelt - drei Prozent mehr als 2017."
Läuft da nicht etwas schief? Warum, meinen Sie, besuchen Schüler das Gymnasium, obwohl teilweise recht früh feststeht, dass sie nie studieren werden? Der "Sinn" des Gymnasiums besteht doch aber eigentlich darin, die Hochschulreife zu erreichen.
Wenn man nun noch bedenkt, dass es zahlreiche Studierende gibt, die das Studium abbrechen um dann doch einen Beruf zu erlernen, dürfte die Berufsorientierung an Gymnasien eine viel zu untergeordnete Rolle spielen. Wir bestücken unsere Oberschulen bspw. mit Praxisberatern, die Gymnasien haben solche nicht - man geht ja vom Ziel "Student" aus. Ausbildungsmessen, Woche der offenen Unternehmen, Praktika, Werkstattwochen, Girls'/Boys'Day und wie es nicht alles heißt, sind omnipräsent an den Oberschulen, die Gymnasien gehen stur gen Studium, wobei auch am Ende des Studiums ein Beruf steht. Sollte hier Ihrer Meinung nach etwas getan werden, wenn ja, was und wie?
Vielen Dank für Ihren Antworten.
MfG
F. P.
Sehr geehrter Herr Pechbrunn,
gern beantworte ich Ihnen Ihre Frage. Grundsätzlich kann man zum Bildungsmonitor festhalten, dass es neben den vielen positiven Entwicklungen und Standards in Sachsen auch Bereiche gibt, in denen der Freistaat Sachsen noch Entwicklungspotenzial hat und erkannte Mängel abstellen muss. Da ich beruflich nicht aus dem Kultusbereich komme und dies nicht das Fachgebiet ist, auf welches ich mich nach einer Wahl in den Landtag spezialisieren möchte, bitte ich um Verständnis, dass die folgenden Aussagen lediglich meine persönliche Meinung widerspiegelt.
Die von Ihnen angesprochene Problematik, dass wir offene Ausbildungsstellen bei gleichzeitig zu vielen Schulabgängern ohne Ausbildungsstellen haben, ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, welches nicht nur den Freistaat Sachsen trifft. Das Handwerk sowie die Handels- und Dienstleistungsberufe finden kaum noch Auszubildende. Die Gründe dafür sind vielseitig. Diese Berufe werden als anstrengend, wenig lukrativ und mit vermeintlich geringeren Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten verbunden. Diese Berufsgruppen stellen jedoch das Rückgrat der Wirtschaft dar, da es sich hierbei um mittelständische Unternehmen handelt. Im Fokus der Schulabgänger stehen jetzt Berufe, welche z.B. im Bereich der IT liegen. Nun kann nicht jeder zum IT-Spezialist ausgebildet werden. An diesem Punkt muss durch die Politik angeknüpft werden und das Bild der Berufsgruppen, welche zur Zeit über einen Mangel an Auszubildenden haben, aufgewertet werden. Wie kann dies realisiert werden? Z.B. durch eine finanzielle Entlastung der Ausbildungsbetriebe während der Ausbildung und durch das aufwerten der Berufszweige in der öffentlichen Wahrnehmung. Ich würde es so formulieren: „Das Handwerk muss wieder goldenen Boden haben“. Hierzu ist es notwendig, dass die Politik enger mit Verbänden wie der IHK und HWK zusammenarbeitet, Fachmessen ausgebaut werden und eine stärkere Vernetzung der einzelnen Bereiche stattfindet. Wichtig wäre auch eine Erhöhung (Anpassung) der Ausbildungsvergütung.
Die richtigen Bausteine sind schon vorhanden. In den sächsischen Schulen wird Berufsberatung angeboten und durchgeführt. Hierfür gibt es Lehrer die in Kooperation mit den Berufsberatern bei der Agentur für Arbeit zusammenarbeiten. Beispielhaft möchte ich hier auf die Berufsberatung am Martin-Luther-Gymnasium meiner Heimatstadt Frankenberg/ Sa. verweisen ( https://www.gymnasium-frankenberg.de/berufsberatung.html ). Diese ist überzeugend aufgebaut und eröffnet Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit sich umfassend zu informieren. An dem Punkt, wie Berufsberatung im Einzelnen gelebt und angenommen wird, muss angesetzt werden. Dieses Thema muss in den Schulen kommuniziert werden. Dabei sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche dem Schüler die Chance bieten, sich gezielt zu informieren. So kann er sich ein klares Bild zu einem Beruf machen, welchen er zukünftig ausüben möchte.
Das Sächsischen Staatsministeriums für Kultur und Bildung muss als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, Schulen entlasten und unterstützen. Des Weiteren hat die Landespolitik Möglichkeiten zu schaffen, die es kleinen und mittelständischen Unternehmen ermöglichen die Ausbildung für Schulabgänger so attraktiv zu gestalten, dass diese Berufe wieder mehr Auszubildende bekommen.
Zu Ihrer Frage: Warum meinen Sie, besuchen Schüler das Gymnasium, obwohl teilweise recht früh feststeht, dass sie nie studieren werden? Der "Sinn" des Gymnasiums besteht doch aber eigentlich darin, die Hochschulreife zu erreichen.
Nach dem Grundgesetz hat jeder Bürger das Recht den Beruf und den Bildungsweg, auf welchem er diesen Beruf erreichen möchte, frei zu wählen. Der Sinn des Gymnasiums besteht dem Grund nach darin, dem Schüler die Möglichkeit zu geben durch die Hochschulreife ein Studium zu beginnen. Es entbindet ihn jedoch nicht vom grundgesetzlichen Ansatz her, einen Lehrberuf im Anschluss zu ergreifen und ist damit nicht als Dogma zu verstehen. Wird der von Ihnen beschriebene Weg von einem Schüler eingeschlagen nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zu absolvieren und in diesem Beruf zu arbeiten, kann der Entschluss dennoch zu studieren in einem späteren Lebensabschnitt gefasst und dann zusätzlich ausgeführt werden. Dieser Ansatz erhöht und erhält die Flexibilität der zukünftigen Fachkräfte am Wirtschaftsstandort Sachsen in einem sich ständig wandelenden globalisierenden wirtschaftlichen Umfeld.
Unter diesem Blickwinkel würde ich gern Ihre letzte Frage beantworten.
Ich verweise dazu noch einmal zu den Ausführungen zum Frankenberger Gymnasium. Hier wird die Berufsberatung in einem Sinne gelebt, welche dem Schüler eine ausgeglichene und sehr gute Berufsberatung ermöglicht. Erstrebenswert wäre hier einen einheitlichen Sachstand an allen Gymnasien des Freistaates Sachsen zu erreichen wobei ich im Einzelnen diese Strukturen nicht beurteilen kann. Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass es die individuelle Entscheidung des Einzelnen ist, dass Studium abzuschließen oder abzubrechen um sich für einen berufliche Ausbildung zu entscheiden.
Unter diesem Ansatz könnte man fragen: bedarf es dann noch der Oberschule oder wie kann es künftig verhindert werden, dass Schüler ggf. zu spät merken, dass sie nicht studieren wollen, wenn sie bereits mehrere Jahre auf dem Gymnasium unterrichtet wurden?
Ich spreche mich zunächst gegen die Gesamtschule aus, da dort nach Einführung das Bildungsniveau oft gesunken ist. Ich bin aber für ein gemeinsames Lernen bis zur Klassenstufe 8. Die Oberschule müsste im Niveau angehoben und das Gymnasium bis zur Klassenstufe 8 die Oberschule angepasst werden, so dass eine Übernahme der Schüler aus der Oberschule auf gleichem Niveau gewährleistet wäre. Durch das gemeinsame Lernen bis zur dieser Stufe auf einem höheren Niveau, kann der Schüler durch seine persönliche Entwicklung feststellen, ob er einen Beruf ergreifen oder studieren möchte bevor er auf das Gymnasium wechselt.
Dies ist in der 4. Klasse, so wie jetzt geregelt, durch die Bildungsempfehlung, nicht der Fall und erzeugt genau die von Ihnen angesprochenen Probleme. Da in den Klassenstufen 8 und 9 bereits Praktika angeboten werden, kann der Schüler zudem eine bessere Vorstellung dazu entwickeln, ob er einen Beruf ergreifen oder studieren möchte. Unter diesem Gedankenansatz sollte das Schulsystem, meiner Meinung nach, dahingehend geändert werden.
Mir ist durchaus bewusst, dass dies mit strukturellen Problemen verbunden ist. Wir haben wenige Bildungszentren und Schulen, die dieses System schnell umsetzen könnten. Ein weiterer Aspekt ist auch, dass es zu wenige Lehrer gibt, die in dieser Struktur eingesetzt werden könnten. Ich bin jedoch der Auffassung, dass die Politik diese Problematik als mittelfristiges Problem erkennen muss und abstellen sollte. Nur dann werden die von Ihnen angesprochen Probleme abgestellt und eine zielgerichtete Fachkräfteermittlung aus Oberschülern und Gymnasiasten in den entsprechenden Berufen und Studiengängen sichergestellt.
Ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen Ihre Fragen beantworten konnte und stehe bei Rückfragen gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Rico Walter-Bretschneider