Frage an Renate Sommer von Sarah E. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrte Frau Dr. Sommer,
Wie ich hörte, wurde am Montag und Dienstag im EU-Parlament über die Etikettierung von Halal- und Schächtfleisch debattiert und die Aufnahme dieses Punktes in die Liste zur Abstimmung im Juni aufgenommen (bitte korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege). Ihren Redebeitrag habe ich mit Bekannten über das EP-Streaming auf Englisch verfolgt. Daraus ist mir nicht ganz klar geworden, welche Haltung Sie zu der Frage einnehmen.
Es ist offensichtlich, dass die Interessen der Industrie - der 20% Global Player, die sie betonen, und der 80% Kleinbetriebe - gehört werden müssen. Gleichzeitig gilt es jedoch, die Interessen der Verbraucher zu schützen - derjenigen, die religiös geschlachtete Tiere verzehren möchten, aber auch die, die niemals Fleisch von Tieren essen möchten, die ohne Betäubung geschlachtet wurden. Wie Sie sicher wissen, gibt es unter Juden und Muslimen unterschiedliche Meinungen zu der Betäubungsfrage; ebenso war die Bezeichnung "Halal" zumindest bis vor kurzem nicht geschützt.
Meine Frage an Sie lautet: Wie würden Sie sich eine verbraucherfreundliche Etikettierung vorstellen? "Unbetäubt geschlachtet" und "betäubt geschlachtet"? Oder "Halal" etc, was diese Frage offen lässt? Wie stehen Sie konkret zu der Frage?
Vielen Dank,
Mit freundlichen Grüßen
S. Esser
Sehr geehrte Frau Esser,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Im Rahmen der zur Entscheidung anstehenden neuen EU-Verordnung zur Verbraucherinformation über Lebensmittel hatte ich als zuständige Berichterstatterin des Europäischen Parlaments unter anderem einen Änderungsantrag zur Kennzeichnung von Fleisch aus Schlachtung ohne Betäubung gestellt. Diese Art der Schlachtung, auch als rituelles Schlachten oder Schächten bezeichnet, wird nach unterschiedlichen Regeln zur Erzeugung von "koscherem" oder "Halal"-Fleisch durchgeführt. In den meisten Mitgliedstaaten der EU ist die Schlachtung ohne Betäubung erlaubt - so auch mittlerweile wieder in der Bundesrepublik Deutschland, wo das ursprüngliche Verbot per Gerichtsbeschluss mit der Begründung der Religionsfreiheit "gekippt" wurde.
Natürlich akzeptiere ich die Regeln und Riten der verschiedenen Religionen. Wie viele Andere möchte aber auch ich selbst aus Gründen des Tierschutzes kein Fleisch aus Schlachtung ohne Betäubung konsumieren. Bislang hat man jedoch in der EU hierbei keine Wahlmöglichkeit, denn das entsprechende Fleisch ist nicht besonders gekennzeichnet.
Zwar wird einerseits behauptet, dass der Marktanteil dieses Fleisches gering sei; da jedoch wiederum die europäische Fleischindustrie behauptet, bei einer entsprechenden Kennzeichnung geschächteten Fleisches künftig erhebliche Verluste einzufahren, muss ich davon ausgehen, dass es sich eben doch um nennenswerte Mengen handelt, denn je nach Religionszugehörigkeit dürfen nur bestimmte (wenige) Teile des geschächteten Tieres verzehrt werden. Die "verbotenen" Teilstücke werden dann als "normales" Fleisch vermarktet.
Kurz vor der Abstimmung im zuständigen Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments erreichten uns jedoch massive Proteste des Europäischen (jüdischen) Schächtungsrates (European Board of Shechita - EBS), die wir nicht außer Acht lassen können. Man befürchtet, dass mit der vorgeschlagenen Kennzeichnung "aus Schlachtung ohne Betäubung" ein Versorgungsproblem insbesondere für orthodoxe Juden entstehen könnte. Schon jetzt sei das nach strengsten Vorschriften durch langjährig (acht Jahre!) ausgebildete Schlachter gewonnene koschere Fleisch 50 - 60 % teurer als nicht koscheres Fleisch, und man müsse davon ausgehen, dass im Falle einer Kennzeichnungspflicht koscheres Fleisch doppelt so teuer würde, da sich die nicht koscheren Teilstücke sicherlich kaum noch über den Lebensmittelhandel vermarkten ließen. Fleisch aus koscherer Schlachtung ist eben auch nicht "halal".
Das Problem ist also ein sehr komplexes, und die Meinungen der Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen gehen sehr weit auseinander. Dennoch erreichte der entsprechende Änderungsantrag eine mehrheitliche Zustimmung der Ausschussmitglieder. Ob sich diese Mehrheit in der Ersten Lesung zu dem Verordnungsentwurf im kommenden Mai bestätigt, bleibt abzuwarten.
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass sich der EU-Ministerrat, also die nationalen Fachminister der Mitgliedstaaten, dringend mit der Frage des Schlachtens ohne Betäubung befassen muss. Sollte das Europäische Parlament in seinem Mai-Plenum wiederum mehrheitlich für eine Kennzeichnungspflicht von geschächtetem Fleisch eintreten, wäre der Ministerrat hierzu gezwungen.
Mit freundlichem Gruß,
Dr. Renate Sommer, MdEP