Frage an Renate Schmidt von Horst M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Schmidt,
ich finde es wirklich dreist, daß der Bundestag die Rente mit 67 beschliesst, obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist. Und daß auch noch die Mehrheit der SPD, eine Partei, die von sich behauptet für soziale Gerechtigkeit und eine Partei für die Arbeitnehmer zu sein, größtenteils auch für dieses ungerechte und diskriminierende Gesetz gestimmt hat, entäuscht mich maßlos. Denn im Vergleich zu allen, die noch mit 65 in Rente gehen können bzw. konnten wird der Lebensstandard all derer deutlich verschlechtert, die dieses Gesetz betrifft, und erst mit 67 in Rente gehen können. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch diskriminierend.
Seitens der Politiker wird dieser Schritt immer mit der demographischen Entwicklung begründet, bzw. die Gesellschaft immer älter wird. Haben Sie aber auch daran gedacht, daß die Anforderungen im Berufsleben immer mehr werden, der Druck im Arbeitsleben immer größer wird und daß deswegen älter werden nicht unbedingt heißen muß, daß man länger arbeiten kann? Bei derart steigenden Anforderungen im Beruf sind doch alle die, die in ca. 20 Jahren und später 65 Jahre werden doch mindestens genauso kaputt und abgearbeitet, wie all die jenigen, die heute mit 65 in Rente gehen. Bei denen die körperlich schwer arbeiten, trifft das erst recht zu.
Außerdem ist die demographische Entwicklung europaweit wie die unsere, bis auf Frankreich, und dort wurde die Geburtenrate von 2,0 auch erst letztes Jahr wieder überschritten. Jedoch in keinem anderen europäischen Land wurde das Renteneintrittsalter erhöht, (im Gegenteil, in Belgien wurde es sogar von 67 auf 65 herabgesetzt), und das obwohl in einigen anderen Ländern teilweise nur bis 63 oder gar 60 gearbeitet wird. Warum orientieren wir uns da nicht an den anderen Ländern? Da kommt man sich als Deutscher echt als der Gelackmeierte vor: Die höchsten Beiträge für die EU zahlen und dafür auch noch am längsten arbeiten dürfen. Finden Sie das in Ordnung?
Sehr geehrter Herr Melzer,
vielen Dank für Ihre Anfrage zur Rente mit 67. Ich möchte Ihnen gerne die Entscheidung begründen, weshalb es unausweichlich und richtig war, das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre zu erhöhen - warum ich zu dieser Entscheidung stehe und sie offensiv vertrete.
Die gesetzliche Rentenversicherung ist und bleibt für die Sozialdemokratie die wichtigste Säule der Alterssicherung in Deutschland. Mit der Entscheidung, die Altersgrenze für die Regelaltersrente schrittweise auf 67 Jahre anzuheben, stellen wir das Rentensystem auf eine solide Finanzgrundlage und sichern es auch für künftige Generationen. Diese Politik halte ich für klug und vorausschauend – sie ist unausweichlich.
Wir müssen aber auch für die ältere Generation mehr machen. Dabei soll es u.a. um Qualifizierung und Weiterbildung gehen, um die Gestaltung einer altersgerechten Arbeitswelt. Wir müssen dafür sorgen, dass auch ältere Arbeitnehmer künftig wieder besser in die Arbeitswelt integriert werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass 50 Prozent der Betriebe in Deutschland keine Arbeitnehmer beschäftigen, die über 50 Jahre sind. Mit der Initiative 50plus setzen wir genau hier an.
Für die SPD-Bundestagsfraktion ist die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters kein Selbstzweck, doch haben uns die gesellschaftlichen und demographischen Entwicklungen zum Handeln gezwungen:
- Die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer ist seit 1959 um fast 11 Jahre gestiegen, die der Frauen im gleichen Zeitraum sogar um 13 Jahre.
- Parallel dazu ist im selben Zeitraum die Geburtenzahl dramatisch zurückgegangen. 1969 bekam jede Frau durchschnittlich 2,1 Kinder, heute sind es noch 1,4 Kinder.
- Das Verhältnis der 65-jährigen und Älteren zu den 20- bis 65- jährigen beträgt heute rund 1:3. Auf einen Rentner kommen drei Menschen, die arbeiten und eine Rente bezahlen. Im Jahr 2030 wird sich das Verhältnis auf 1:2 verschlechtern.
- Gleichzeitig steigt die Rentenbezugszeit kontinuierlich an: 1960 betrug die durchschnittliche Bezugsdauer 10 Jahre; 1990 waren es bereits über 15 Jahre; 2006 17 Jahre. 2020 werden es fast 20 Jahre sein. Gleichzeitig nehmen die Versicherungsjahre weiter ab. 2004 lagen die durchschnittlichen Versicherungsjahre bei Frauen bei 25 Jahren. Bei den Männern sind die Versicherungsjahre von 1998 bis 2004 von 40 auf 39,2 Jahre gesunken.
Nicht, dass Sie mich missverstehen: Es ist gut, dass die veränderten Lebensbedingungen dies ermöglichen, aber unser Rentensystem wird dadurch auf eine harte Probe gestellt. Die heute arbeitende Generation beginnt viel später mit dem Erwerbsleben. Es wird sich daher mit der Rente mit 67 nicht die Dauer der Erwerbstätigkeit ändern, sondern nur verschieben. Gleichzeitig werden wir durch die Initiative 50plus von Franz Müntefering die Beschäftigungschancen älterer Menschen deutlich verbessern. Außerdem wird körperlich schwere Arbeit weiter abnehmen.
Die aufgezeigten Entwicklungen können im Sinne eines stabilen Rentensystems nur bewältigt werden, wenn alle Beteiligten ihren Beitrag leisten: Heutige und künftige Beitragszahler ebenso wie die derzeitigen Renterinnen und Rentner.
Ich und meine Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion wissen aber auch, dass die Arbeitsbedingungen weiter verbessert werden müssen und dass wir nach Möglichkeiten suchen müssen, den Rentenzugang zu flexibilisieren. Deshalb haben wir auch eine Arbeitsgruppe aus Partei und Fraktion eingesetzt, die bis zum Jahresende hierzu Konzepte vorlegen wird.
Bei Ihrem EU-Vergleich vergessen Sie das Berufseintrittsalter mit zu berücksichtigen. In Deutschland ist das auch viel höher als in den anderen EU-Ländern. Wenn Sie die Lebensarbeitszeit vergleichen, werden Sie keine großen Unterschiede zwischen den EU-Staaten feststellen. Und in vielen europäischen Ländern gibt es ähnliche Diskussionen wie bei uns z.B. in Italien, in Spanien und Frankreich.
Mit freundlichen Grüßen
Renate Schmidt