Frage an Renate Künast von Regine B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Künast,
als Mitglied des Deutschen Bundestags werden Sie darüber entscheiden, in welcher Weise Patientenverfügungen gesetzlich geregelt werden. Die Frage, ob die Reichweite von Patientenverfügungen eingeschränkt werden soll, ist dabei von entscheidender Bedeutung.
Als potentiell betroffene Patientin möchte ich für den Fall schwerer Hirnschädigung (z.B. nach einem Schlaganfall bzw. einer Blutung im Gehirn) wirksam Vorsorge treffen können und die Entscheidung über mein Leben und Sterben nicht den Ärzten oder meinem rechtlichen Vertreter überlassen.
Würden Patientenverfügungen nur bei unumkehrbar zum Tode führendem Grundleiden wirksam sein, müßten Ärzte auch gegen den Willen des Patienten Operationen vornehmen, solange es dafür eine medizinische Indikation gibt. Auch bei einer Demenz müßte nach einem Herzstillstand in jedem Fall eine Wiederbelebung durchgeführt werden. Die Risiken der medizinischen Behandlung würden auch dem Patienten, der diese Behandlung im Voraus abgelehnt hat, aufgebürdet.
Sollte der Beginn eines unumkehrbaren Sterbeprozesses Voraussetzung für die Wirksamkeit von Patientenverfügungen werden, wäre auch bei einer langsam zum Tode führenden Krankheit nur für die allerletzte Lebensphase eine wirksame Vorausverfügung möglich.
Der Deutsche Juristentag 2006 hat sich gegen die Einschränkung der Reichweite von Patientenverfügungen ausgesprochen.
Halten Sie die Einschränkung der Reichweite von Patientenverfügungen für sinnvoll?
Mit freundlichem Gruß
Regine Bernstein-Bothe
Sehr geehrte Frau Bernstein-Bothe,
im Auftrag von Renate Künast danke ich Ihnen für Ihre Frage zu Patientenverfügungen. Die laufende Diskussion lässt sich ja in zwei Hauptsträngen bündeln. Eine Gruppe setzt auf die Privatautonomie und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten: Was ich einmal geregelt habe, gilt immer. Der anderen Gruppe fällt es schwerer zu glauben, dass ein einmal geäußerter Wille auf immer und ewig gelten soll, weil er jede potenzielle Situation klar im Auge hatte. Sie sprechen sich für eine begrenzte Reichweite aus. Sterbenskranke, die eine Patienten-Verfügung aufgesetzt haben, können im Augenblick nicht sicher sein können, ob sie angewandt wird. Es ist rechtlich nicht hinreichend geklärt, welche Bindungswirkung die Erklärungen haben. Ärzte und Angehörige stellt das vor ein Dilemma - deswegen ist es wichtig, Rechtssicherheit für Leute zu schaffen, die selbstbestimmt sterben wollen.
Im konkreten Fall stellt sich doch die Frage, trifft der verfügte Wunsch auf diese Situation zu. Ein Beispiel: Ein älterer Mensch verfügt, er wolle nicht mehr künstlich ernährt werden oder lebensverlängernde Behandlung erhalten, wenn klar ist, dass er auf den Tod zugeht. Bei Krebserkrankungen mag ein solcher Punkt bestimmbar sein. Doch bei Koma-Patienten oder Demenzkranken sieht das anders aus. Wie sollen sich die Ärzte verhalten? Ein zweites Beispiel: Ein Demenzkranker hat eine ähnliche Verfügung aufgesetzt und sich eine Lungenentzündung zugezogen. Als Demenzkranker hat er keine Heilung zu erwarten, kann aber trotz seiner anderen Wahrnehmung ein halbwegs glückliches Leben führen. Sollen die Ärzte nun die Lungenentzündung mit Antibiotika behandeln oder hätte der Patient eine solche Therapie abgelehnt, wenn er entscheiden könnte? Wonach sollen sich die Ärzte und Angehörigen richten?
Natürlich muss der Wille des Patienten an erster Stelle stehen. Es schließt sich aber doch die Frage an, welchen Willen der Betroffene in der Situation geäußert hätte oder ob er diese meinte.
Das Thema Patienten-Verfügung gehört zu den schwierigsten Fragen, über die Parlamentarier zu entscheiden haben. Deswegen wünscht sich Frau Künast, dass nicht nur über das Sterben gesprochen wird, sondern auch darüber, wie die letzten Lebensmonate eines Menschen aussehen sollten.
Auch am Lebensende muss ein würdevolles Leben ohne Schmerzen möglich sein, und zwar an dem Ort, den die Betroffenen wünschen. Die Rahmenbedingungen für ein Sterben in Würde bedürfen in Deutschland weiterhin deutlicher Verbesserungen. Bündnis 90/Die Grünen wollen eine individuelle Sterbebegleitung mit einem hohen Maß an Selbstbestimmung. Dazu gehören für uns vor allem die Stärkung der Palliativmedizin und Schmerztherapie sowie die Weiterentwicklung der Hospizarbeit und der Möglichkeiten, Schwerstkranke auf Wunsch auch zuhause zu pflegen. Die Sterbebegleitung muss darauf ausgerichtet sein, vor allem durch die Linderung von Schmerzen und anderen Krankheitsbeschwerden, den Patientinnen und Patienten so viel Lebensqualität und Rechte wie möglich zu erhalten, um ihnen auf diese Weise auch ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. Gerade schwerstkranken Menschen und ihren Betreuenden muss nicht nur die bestmögliche medizinische Hilfe, sondern auch die bestmögliche psychologische bzw. psychotherapeutische Unterstützung zuteil werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Katrin Langenbein
Wahlkreisbüro Renate Künast