Frage an Reiner Erben von Jochen M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Erben,
seit einiger Zeit wird auf verschiedenen Ebenen die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert. Was halten Sie davon?
Sehr geehrter Herr Mack,
Wir Grüne haben uns mit der Debatte um die soziale Absicherung intensiv befasst. Im Vorfeld unseres Parteitages im November letzten Jahres gab es innerhalb der Partei eine breit angelegte Diskussion und auf dem Parteitag einen Beschluss zur sog. Grünen Grundsicherung, der sich vom Modell des bedingungslosen Grundeinkommens unterscheidet und den ich auch mit unterstützt habe.
Die Grüne Grundsicherung besteht aus zwei gleichberechtigten, sich ergänzenden Komponenten, die zur Teilhabe befähigen sollen, aus der Existenzsicherung und aus der Teilhabegarantie durch einen Ausbau öffentlicher Leistungen. Denn Armut und gesellschaftliche Ausgrenzung bestehen nicht allein im Mangel an Geld, sondern auch im eingeschränkten Zugang zur Bildung und anderen Gemeinschaftsgütern und in der Verweigerung des Zugangs zum Erwerbsarbeitsmarkt. Wir brauchen beides: Existenzsichernde Transferleistungen und den diskriminierungsfreien Zugang zu sozialen und kulturellen Angeboten, zu Räumen der Befähigung und der Bildung. Nur so lassen sich Armutslebenslagen nachhaltig überwinden. Jede Reduzierung des Sozialstaates auf eine der beiden Seiten muss dagegen scheitern.
Man kann diese Debatte aber nicht führen ohne die von rot-grün auf den Weg gebrachten sog. Hartz-Reformen kritisch zu betrachten. Die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen beinhalteten positive, von uns schon lange geforderte Schritte, etwa die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und den damit verbundenen Zugang und Reintegration vieler vormaliger SozialhilfeempfängerInnen zur aktiven Arbeitsmarktförderung. Sie beinhalteten aber auch negative Teile, die von uns schon bei der Verabschiedung kritisiert wurden. Heute wissen wir, dass sich einige Entscheidungen bei den Hartz-Reformen als sozialpolitisch fatal erwiesen: die Verschärfung der Zumutbarkeitsbedingungen etwa, der zu geringe Schutz privater Altersvorsorge, die zu niedrigen Zuverdienstgrenzen, die vollständige Anrechnung von Partnereinkommen.
Aus der Hartz-Kritik hat die Idee eines Grundeinkommens für alle, die es seit langem gibt, einen neuen Schub erhalten. Manche BefürworterInnen sehen im bedingungslosen Grundeinkommen für alle die Lösung der wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Probleme. Es wird das Bild eines einfachen und fairen Sozialstaats gezeichnet, der den Individuen ein größtmögliches Maß an Freiheit, Selbstbestimmung und Würde bei gleichzeitiger finanzieller Existenzsicherung einräumt. Eine verbesserte Existenzsicherung kann aber letztlich nur einen Beitrag zur Erreichung dieser Ziele leisten und muss in ein Bündel weiterer Maßnahmen eingebunden sein. Aus meiner Sicht ist es falsch, ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle zu fordern, weil angeblich der Gesellschaft die Erwerbsarbeit ausgehe – allein im Bereich der Schwarzarbeit „verstecken“ sich fünf Millionen Jobs. Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens, die ein hohes Grundeinkommen ohne Gegenleistungen versprechen, sind nur durch eine extrem hohe Belastung mit Steuern und Abgaben zu finanzieren. Wir wollen nicht, dass der Staat sich, wie in manchen neoliberalen Bürgergeldmodellen, aus der Verantwortung, die Teilhabe aller zu gewährleisten, zurückzieht und stattdessen auf die alleinige Verantwortung der Individuen verweist. Die dauerhaft und bedingungslose Alimentierung von Menschen ohne stärkere Anreize für Erwerbstätigkeit und Bildung kann für einen politischen und gesellschaftlichen Ablasshandel missbraucht werden, der schnell zur organisierten Ruhigstellung ganzer Bevölkerungsgruppen führt.
Über diese soziale Frage kann man lange diskutieren, sollten Sie noch Fragen
haben, werde ich gerne weitere Ergänzungen machen.
Mit freundlichen Grüßen
Reiner Erben