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Frage von Jonathan R. •

Wie rechtfertigen Sie die Entscheidung, entgegen jeder wissenschaftlichen Einschätzung, Gas und Atom als „nachhaltig“ grün zu waschen?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr R.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage vom 7. Juli 2022, auf die ich höflich Bezug nehme. Ich freue mich sehr, dass Sie sich mit Ihrem Anliegen zur EU-Taxonomie-Verordnung an mich wenden. Diese Form des direkten Kontakts zu Bürgerinnen und Bürgern ist mir besonders wichtig. Für die verspätete Beantwortung bitte ich höflich um Nachsicht und möchte im Folgenden gerne zu einigen Punkten Stellung nehmen.

Das Europäische Parlament hat den delegierten Rechtsakt zur Taxonomie-Verordnung in seiner Plenarabstimmung am 6. Juli 2022 gebilligt und damit den Weg dafür freigemacht, dass für eine Übergangszeit und unter bestimmten Voraussetzungen einige Erdgas- und Atomkraftaktivitäten in die Liste der ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten aufgenommen werden. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass es zunächst unsinnig erscheinen mag, Kernenergie und Gas in die Klimataxonomie mitaufzunehmen. Im Folgenden möchte Ihnen deshalb zunächst die Grundüberlegungen der EU-Kommission zu diesem Thema darlegen:

Mit der EU-Taxonomie soll es einfacher werden, Wirtschaftstätigkeiten zu identifizieren, die einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Umwelt- und Klimaziele der EU leisten. So soll die Transformation zur Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen und der Weg zur Klimaneutralität vorangetrieben werden. Gleichzeitig muss aber eine zuverlässige Energieversorgung in Europa sichergestellt werden. Um beiden Zielen Rechnung zu tragen, brauchen wir möglichst klimafreundliche Energiequellen, die den Energiebedarf in der EU decken, bis wir die gesamte Versorgung auf emissionsfreie Alternativen umgestellt haben. 

Gastätigkeiten:

Gas gilt nicht nur als sauberste fossile Energiequelle, auch die für die Gasnutzung bereits existierende Infrastruktur kann künftig für den Transport von sauberem, aus erneuerbaren Energien hergestelltem Wasserstoff genutzt werden. Letzterer bietet großes Potenzial als Energieträger insbesondere im Verkehr und in der Industrie. 

Wenn wir den CO2-Ausstoß schneller verringern wollen, indem wir z.B. den Kohleausstieg vorantreiben, ohne warten zu müssen, bis ausreichend vollständig CO2-freie Technologien verfügbar sind, dann geht das nur durch den Einsatz von Gas als Brückentechnologie. Leider ist es aktuell noch nicht möglich, den gesamten Energiebedarf in der EU durch klimaneutrale Quellen zu decken. Erdgas wird bis 2030 weiterhin eine wichtige Rolle in Bezug auf Verbrauch und Erzeugung spielen; anschließend wird bis 2050 mit einem Rückgang gerechnet. 

Uns ist selbstverständlich bewusst, dass Gas aufgrund der nicht unerheblichen Kohlenstoffdioxid- und Methanemissionen keine langfristige Alternative sein kann. Dies kommt auch in der Taxonomieverordnung (diese finden Sie unter folgendem Link: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:32020R0852) klar zum Ausdruck. Sie unterscheidet nämlich drei Arten von Tätigkeiten: CO2-arme Tätigkeiten (Artikel 10 Absatz 1), Übergangstätigkeiten (Artikel 10 Absatz 2) und ermöglichende Tätigkeiten (Artikel 16). 

Am 2. Februar 2022 hat die EU Kommission in Form eines delegierten Rechtsakts vorgeschlagen, bestimmte Tätigkeiten im Gasbereich als nachhaltige Übergangstechnologien in die Klimaneutralität anzuerkennen. Diese Tätigkeiten sind jedoch stark limitiert und umfassen keinesfalls alle Tätigkeiten im Gasbereich, sondern nur die „Tätigkeiten, für die es noch keine technologisch und wirtschaftlich machbaren CO2-armen Alternativen gibt, die aber unter strengen Auflagen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und das Potenzial haben, eine wichtige Rolle beim Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft im Einklang mit den Klimazielen und Verpflichtungen der EU zu spielen, ohne dabei Investitionen in erneuerbare Energien zu verdrängen.“ So ist beispielsweise eine der Voraussetzungen für die Anerkennung als Übergangstechnologie im Gasbereich, dass eine mit Erdgas-Tätigkeit zusammenhängende Anlage bis zum 31. Dezember 2035 vollständig auf erneuerbare oder CO2-arme Gase umgestellt werden soll. 

Außerdem führt die Europäische Kommission weitergehende Offenlegungspflichten ein, die für die in dieser Branche tätigen Unternehmen gelten sollen. Auf diese Weise verpflichtet die EU börsennotierte Unternehmen dazu, den Anteil ihrer mit Erdgas in zusammenhangstehenden Tätigkeiten zu veröffentlichen. So wird Anlegern ersichtlich, welche der Tätigkeiten, in die sie investieren, mit Erdgas verbunden sind.

Kernenergietätigkeiten: 

Kernenergie ist eine CO2-arme Energiequelle. Zu dieser Einschätzung kommen auch internationale Organisationen wie der Weltklimarat (IPCC), die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa. Die Atomkraft hat deshalb erhebliches Potenzial, um einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels zu leisten. Gleichzeitig stellt der Atommüll und die Lagerung dessen eine enorme Herausforderung dar. Folglich kann auch die Kernenergie nur eine Übergangslösung sein und wird, wie die Gastätigkeiten, in der Taxonomieverordnung ebenfalls dem Bereich der Übergangstechnologien zugeordnet. Auch hier gelten strenge Vorgaben. Zentral ist hier vor allem der Nachweis über betriebsbereite Endlager für schwach radioaktive Abfälle und detaillierte Pläne der Mitgliedstaaten, in denen sie darlegen müssen, wo sie bis 2050 ein Endlager für hochradioaktive Abfälle, die etwa 1% des anfallenden radioaktiven Mülls ausmachen, in Betrieb nehmen werden. Auch die Kernenergietätigkeiten sollen den weitergehende Offenlegungspflichten unterliegen.

Beide Tätigkeitsbereiche spielen beim Übergang in einen klimaneutralen Energiemix eine wichtige Rolle, werden aber lediglich als Übergangstechnologien anerkannt und sollen möglichst zügig durch klimaneutrale Alternativen ersetzt werden. 

Wie Sie wissen, gehört Deutschland zu jenen EU-Mitgliedstaaten, die sich besonders für die Aufnahme von Gas einsetzen und Atomenergie ablehnen. Andere EU-Mitgliedstaaten positionieren sich im Bereich der Energiepolitik jedoch unterschiedlich und befürworten zum Teil Nuklearenergie. Die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament vertritt als größte Fraktion die Interessen von 27 Ländern, die in unserer Fraktion von insgesamt 176 Abgeordneten vertreten sind. Damit ist sie hinsichtlich ihrer parteipolitischen Zusammensetzung die heterogenste aller Fraktionen; sie vereint politische Parteien aus fast allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – von Portugal im Westen und Bulgarien im Osten bis hin zu Finnland im Norden und Malta im Süden. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher geopolitischer Kontexte, innenpolitischer Strukturen und insbesondere verschiedener energiepolitischer Abhängigkeiten ist eine divergierende Abstimmung der einzelnen Fraktionsmitglieder durchaus nachvollziehbar.   

Kurz vor der Plenarabstimmung zeichnete sich in der deutschen Delegation der EVP, der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, zwar eine Tendenz zur Zustimmung der EU-Taxonomie-Verordnung ab. Der Ukraine-Krieg hat die Lage jedoch verändert. Es geht jetzt nicht mehr ausschließlich darum, klimafreundlich zu wirtschaften, sondern auch darum, Abhängigkeiten von aus Russland importiertem Gas zu reduzieren. Die individuellen Prioritäten der Mitgliedsländer bei diesem Thema bleiben jedoch sehr verschieden, sodass eine gemeinsame Positionierung der EVP-Fraktion in der Plenarabstimmung zur EU-Taxonomie nicht zustande gekommen ist. 

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Ausführungen unseren Standpunkt etwas näherbringen. Ich danke Ihnen nochmals für Ihre Zuschrift zu diesem wichtigen Thema. Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Rainer Wieland