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Frage von Wolfgang B. •

Frage an Rainer Arnold von Wolfgang B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Arnold,
wie können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, dass Sie dem EU-Vertrag zugestimmt haben, nachdem Sie sicher gewusst haben, dass der Vertrag nicht mehr Verfassungsgerecht ist. z.B.EU-Recht bricht nationales Recht. Die nationalen Parlamente werden zu reinen Umsetzungsinstanzen von EU-Recht. Das deutsche Grundgesetz wird damit außer Kraft gesetzt, und Deutschland verliert seine existentielle Staatlichkeit. Der Vertrag hebt ein ganz zentrales Verfassungsprinzip auf -"Alle Macht geht vom Volke aus"
(Art. 20,2GG)
Über eine Antwort würde ich mich freuen.
Freundl. Gruß
W.Burkhardt

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Burkhardt,

zunächst einmal sollte man sich nochmals die Gründe für den Lissabonner Vertrag vor Augen führen: Die Europäische Union hat sich in den letzten Jahrzehnten mehrfach erweitert, zuletzt Anfang 2007. Inzwischen sind 27 Staaten Mitglieder der Europäischen Union.

Der innere Aufbau der Union, die Entscheidungsverfahren und ihre rechtliche Verfasstheit haben aber mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten. Soll sie weiter ordentlich funktionieren können, muss die Europäische Union effizienter, demokratischer und transparenter werden. Deshalb sollen mit dem Vertrag von Lissabon die bestehenden Verträge so geändert werden, dass die Europäische Union die Herausforderungen einer globalisierten Welt bestehen kann.

Was nun das von Ihnen angesprochene Verhältnis zwischen Europäischen Grundrechten und dem Grundgesetz anbetrifft, so ist der Vorrang des EU-Rechts in Artikel 23 Grundgesetz, dem EU-Artikel, ausdrücklich verankert, da Bundestag und Bundesrat die Möglichkeit eingeräumt wird, Hoheitsrechte an die EU zu übertragen: "Der Bund kann (...)durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen." Dieser Vorrang ist erforderlich, da das mit den EU-Verträgen beschlossene Recht anderenfalls keinerlei Wirkung in den EU-Staaten entfalten würde. Da alle EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament sowohl an den EU-Vertragsänderungen als auch an den EU-Entscheidungsverfahren beteiligt waren und sind, ist der Vorrang hinreichend legitimiert.

In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 1951 die sechs Gründungsstaaten die Kompetenz der Zollpolitik für die Güter Kohle und Stahl an eine ihnen übergeordnete Behörde übertrugen. Das Ziel war damals wie heute, einen gemeinsamen europäischen Markt zu schaffen, Vertrauen durch Zusammenarbeit zu stiften und infolgedessen Frieden und Wohlstand in Europa zu fördern. Die Übertragung von Zuständigkeiten an die EU ist also nicht neu und hat sich bewährt. Wer jetzt den Vertrag von Lissabon dafür kritisiert, dass er das Prinzip der europäischen Integration bestätigt, stellt den Jahrzehnte alten Prozess und Erfolg der europäischen Einigung in Frage.

Eine "Generalvollmacht" hatten weder die Europäische Kommission noch der Ministerrat oder das Parlament nie und werden sie auch zukünftig nicht haben. Welche Zuständigkeiten die EU ausüben darf, steht abschließend in den EU-Verträgen und die Verträge werden von den mittlerweile 27 EU-Staaten verhandelt, unterzeichnet und müssen schließlich von 27 nationalen Parlamenten sowie dem Europäischen Parlament ratifiziert werden.

Dazu sei auch erwähnt, dass der Deutsche Bundestag und die SPD-Bundestagsfraktion im Jahr 2006 jeweils Verbindungsbüros in Brüssel geschaffen haben. Diese Büros sollen dazu beitragen, den Bundestag, konkret die betreffenden Ausschüsse und Abgeordneten möglichst frühzeitig über Diskussionen und geplante Rechtsakte der EU zu informieren. Dadurch werden die Einflussmöglichkeiten des Bundestages auf die Rechtsetzung der EU gestärkt.

Gleichwohl wird das Grundgesetz durch den EU-Grundrechtsschutz nicht verdrängt. Die Garantien des Grundgesetzes bleiben bindend für alle Angelegenheiten, die sich im nationalen Rahmen bewegen. Für deutsche Gesetze, Verwaltungshandeln oder die Tätigkeiten von Polizei und Justiz bleibt das Grundgesetz der Maßstab und das Bundesverfassungsgericht die höchste Instanz.

Auch Ihre Befürchtungen, die nationalen Parlamente würden zu reinen Umsetzungsinstanzen, sind unbegründet. Sobald ein europäisches Gesetz vorgeschlagen worden ist, überprüfen die nationalen Parlamente, ob es nicht die festgesetzten Zuständigkeitsgrenzen überschreitet. Die Parlamente können solche vermuteten Verstöße rügen und auf Abänderung drängen. Nach Erlass können sie sogar durch eine Klage vor dem EuGH für eine gerichtliche Überprüfung sorgen.

Gerade auch in meinem Bereich, d.h. der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, bleibt es beim Einstimmigkeitsprinzip und den nationalen parlamentarischen Vorbehalten hinsichtlich des Einsatzes von Streitkräften.

Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen beantworten und Ihre Bedenken ausräumen konnte. Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen werde ich auch weiterhin mein Bestes tun, um zur Stärkung eines europäischen politischen Bewusstseins beizutragen und die Bürgerinnen und Bürger über den Vertrag von Lissabon zu informieren. In diesem Sinne bin ich

mit freundlichen Grüßen

Rainer Arnold