Frage an Rainer Arnold von Nina W.
Guten Tag Herr Arnold.
Ich darf sie zitieren: "Uns allen ist klar, dass die Menschen in ihren Heimatländern eine Zukunftsperspektive erhalten müssen. Bürgerkriege, Naturkatastrophen und Klimawandel und extreme Armut machen diese zunichte. Rasche humanitäre Hilfe, Krisenbewältigung, Stabilisierung, schnelle Aufbauhilfe und längerfristig angelegte Entwicklungszusammenarbeit können wesentlich dazu beitragen, dass sich die Lage der Menschen in ihrer Heimat bessert und Fluchtursachen vorgebeugt wird. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich in dieser Legislaturperiode für die Rückkehr zu einer vorausschauenden Hilfe einsetzen."
Meine Fragen:
1. Glauben Sie mit dem Kriegseinsatz von Deutschland den Menschen eine Zukuftsperspektive geben zu können? Ist ein Kriegseinsatz in ihren Augen eine vorausschauende Hilfe? Ich bitte Sie, mir keine Ausführungen darüber zu machen, wie die Situation in Syrien ist, noch darüber, wie man den deutschen Kriegseinsatz definieren kann, sondern schlicht auf meine Fragen zu antworten.
2. Können Sie mir bitte ein Beispiel für ein erfolgreiches militärisches Intervenieren in einem Staat nennen, das zeigt, wie sich durch die militärische Einmischung von außen, die Situation der Menschen vor Ort verbessert hat und diese danach in einem stabilen friedlichen Staatssystem leben konnten (Afghanistan, Irak, etc. schließe ich schon mal aus)? Auch hier bitte ich Sie, von langen Ausführungen abzusehen, die meine Frage nicht beantworten und mir schlicht die Frage zu beantworten: Kennen Sie ein solches Beispiel oder nicht? Wenn ja, welches?
3. Wie informieren Sie sich über das Thema Syrien bevor Sie zu einer solchen Abstimmung gehen?
Vielen Dank im Voraus,
mfg Nina Weber
Sehr geehrte Frau Weber,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 10. Dezember 2015 zum Syrien-Einsatz der Bundeswehr.
Zu ihrer ersten Frage möchte ich Ihnen antworten, dass wir den Menschen in Syrien nur dann eine Zukunftsperspektive und die Möglichkeit geben können, in ihr Land zurückkehren zu können, wenn wir die Terrororganisation Islamischer Staat daran hindern, einen terroristischen Staat in Syrien und seinen Nachbarländern einzurichten. Der deutsche Beitrag zur internationalen Allianz, die sich dem IS entgegenstellt, ist dabei aber nur eine Voraussetzung von vielen.
Für den Syrienkonflikt ist letztlich eine politische Lösung zentral. Die Bundesregierung und insbesondere der Außenminister Frank-Walter Steinmeier haben sich seit Beginn der Legislaturperiode intensiv hierfür eingesetzt.
Im Rahmen der Wiener Konferenzen hat sich die Bundesregierung mit Nachdruck um Einbeziehung unter anderem des Iran und Saudi-Arabiens für eine diplomatische Lösung eingesetzt. Beide Länder spielen als Regionalmächte im Nahen Osten eine wichtige Rolle in diesem Krieg, Iran auf Seiten Assads und Saudi-Arabien auf Seiten der Opposition.
In einem nächsten diplomatischen Schritt müssen Regierung und Opposition in Syrien zu Verhandlungen zusammengebracht werden. Vor allem Russland und Iran können Assad mit ihrem Einfluss dazu bewegen, sich an einer politischen Lösung zu beteiligen, um mindestens einen Waffenstillstand, bestenfalls ein Ende des Bürgerkriegs zu erreichen. Ein wichtiges Ziel der multinationalen Koalition muss sein, die Kräfte zu bündeln und den militärischen Fokus auf den sogenannten Islamischen Staat zu legen. Sicherlich gibt es noch viele militärische und politische Unwägbarkeiten. Doch wird die Bundesrepublik ihren Bündnispflichten im Rahmen der Europäischen Union nachkommen und zeitgleich ihr außenpolitisches Gewicht für eine diplomatische Lösung nutzen.
Neben dem militärischen Einsatz und den politischen Verhandlungen müssen – auch in Anbetracht der über sieben Millionen Binnenflüchtlinge und über vier Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern und in Europa – die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit in der Region weiterhin massiv ausgebaut werden. Seit 2012 hat Deutschland über 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Durch die Initiative von Außenminister Frank-Walter-Steinmeier ist es gelungen, dass auch weitere Staaten ihre Ausgaben für die Flüchtlingshilfe in der Region erhöht haben. Im Haushalt 2016 haben wir den Ansatz für Humanitäre Hilfe und die zivile Krisenprävention um über 400 Millionen Euro aufgestockt.
Wir werden unser Engagement für die Flüchtlinge und Hilfsbedürftigen in der Region in Abstimmung mit unseren internationalen Partnern und den Partnerorganisationen vor Ort fortzusetzen und - wo möglich und nötig - verstärken.
Der Bürgerkrieg in Syrien mit über 250.000 Toten und mehr als 11 Millionen Menschen auf der Flucht, der zwischen der Regierung Assads und unterschiedlichen oppositionellen Gruppen geführt wird, ist mit diesem Militäreinsatz nicht zu lösen. Und dass der sogenannte IS allein militärisch geschlagen und die Region stabilisiert werden kann, behauptet niemand. Nicht zuletzt der deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, hat den politischen Prozess zur Stabilisierung der Region mit den bisherigen Wiener Syrien-Konferenzen maßgeblich vorangetrieben. Das dürfte auch Ihre Anerkennung finden.
Das deutsche Engagement in Syrien wird stetig ausgebaut und gleichzeitig hinterfragt. Auch in den nächsten Monaten sollen vor allem auf der diplomatischen Ebene Fortschritte erzielt werden. Der militärische Einsatz Deutschlands auf Bitten von Frankreich ist im Zuge dieser Strategie ein Teil, aber nicht der zentrale Bestandteil des Konzepts. Deutschland wird seinen Fokus auch in Zukunft auf eine politische Lösung lenken.
Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich Sie zunächst darauf hinweisen, dass erst die Intervention der NATO auf dem Balkan ab März 1999 das systematische und massenhafte Morden stoppen konnte.
Auch durch alle 16 Missionen der Vereinten Nationen insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent konnte das Allerschlimmste, nämlich massenhaftes Morden, beendet werden.
Auch der Einsatz in Afghanistan hat für das afghanische Volk viele Verbesserungen bewirken können. Damit meine ich die Fortschritte bei der medizinischen Versorgung, der Bildung, der Ausbildung von Beamten, der Verkehrsinfrastruktur, des Wirtschaftswachstums und nicht zuletzt die Lage der Frauen. Ich rede bei meinen Reisen nach Afghanistan viel mit Frauen der afghanischen Zivilbevölkerung. Sie bestätigen mir immer wieder, dass ihre Lage erheblich besser ist als zu Zeiten der Talibanherrschaft – und auch als sie wieder werden würde, wenn wir Afghanistan wieder den Taliban überlassen würden. Leider wird über diese für das afghanische Volk so wichtigen Erfolge selten in den Medien berichtet, sondern nur über die Dinge, die schief laufen.
Ein weiteres Beispiel ist der Norden des Iraks, wo im Sommer 2014 mehrere zehntausend Jesiden, die vor dem sogenannten Islamischen Staat aus der Stadt Sindschar in das Sindschar-Gebirge geflohen waren und dort quasi ohne Versorgung ausharrten, durch das US-Militär aus der Luft versorgt wurden und nach Luftschlägen der USA gegen die Terrormiliz die meisten Flüchtlinge der Belagerung entkommen konnten.
Das Militär kann aber nur kurzfristig absichern, damit mit den Mitteln der Diplomatie weitere wichtige Ziele erreicht werden können. Außenpolitik ist nie nur schwarz und weiß, sondern besteht immer aus einer Vielzahl von Grautönen.
Der Irakkrieg allerdings war völkerrechtswidrig. Daher halte ich diesen – damals wie heute – für falsch.
Als Letztes möchte ich Ihnen auf Ihre dritte Frage antworten, dass ich mich auf allen Ebenen informiere. Das ist für mich absolut selbstverständlich. Ich reise in die betroffenen Gebiete und führe dort Gespräche mit Politikern, spreche mit den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und mit Vertretern der Zivilbevölkerung. Auch führe ich viele Gespräche mit Vertretern der Nachrichtendienste, der Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen, um mir möglichst viele und verschiedenste Sichtweisen einzuholen. Das Schöne am Abgeordnetenberuf ist, jeden Tag viel Neues zu hören und Informationen wie ein Schwamm aufzusaugen, aus denen ich mir dann eine eigene Meinung bilde.
Meine Meinung mag Ihnen vielleicht nicht gefallen, aber ich bitte Sie darum, mir die Ernsthaftigkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen, nicht abzusprechen.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Arnold