Frage an Rainer Arnold von Thomas B. bezüglich Wirtschaft
Lieber Rainer Arnold,
der Monat Oktober neigt sich dem Ende zu - lt. den Presseverlautbarungen der letzten Wochen sollte nun mit dem Bericht der "Troika" Entscheidungsgrundlagen für weitere "Hilfskredite" an Griechenland vorgelgt werden. Noch ist dieser offizielle Bericht ja wohl n.n. veröffentlicht, jedoch deuten etliche Zeichen daraufhin, daß man GR weitere Zeit für Reformen einräumen will. Zeit, die mit dem Überweisen weiterer Milliardenbeträge m.E. teuer erkauft wird, ohne daß irgendeine Gewissheit vorliegt, daß diese Gelder jemals zurückgezhalt werden können.
Meine Frage an Dich wäre, ob sich die SPD-Fraktion - die ja bisher alle Schritte der Regierung in dieser Angelegenheit mitgetragen hat - intensiv mit der Frage befasst hat, was der griechische Staat in den vergangenen 2-3 €-Krisenjahren unternommen hat, um zumindest mal die eigene Einnahmebasis (= funktionierende Steuerverwaltung) zu verbessern?
Die aktuellen Medienberichte über die Handhabung der sogenannten "Lagarde-Liste" mit zahlreichen Steuersündern innerhalb der griechischen Administration kann eigentlich nur den Schluß offenlassen, daß es einer gewissen Führungsschicht in GR eher darauf ankommt, die dortige Arbeitnehmerschaft aber auch und gerade die Steuerzahler in den Geberländern wie D finanziell bluten zu lassen + eigene Pfründe nicht anzutasten.
Mir als SPD-Mitglied ist der Grundwert der Solidarität durchaus wertvoll - Probleme kriege ich aber mittlerweile, wenn meine Partei es vertritt, daß man Rentenansprüche massiv kürzt, für wichtige Vorhaben im Bildungs- und Sozialbereich bei uns vermeintlich kein Geld da ist, mit den "Hartzreformen" ein großes Billiglöhnersegment billigend in Kauf genommen wurde, viele Beschäftigte in den sogen. "einfacheren Berufen" im vergangenen Jahrzehnt durch Verzicht auf Reallohnzuwächse unseren derzeitigen "Wirtschaftsboom" ermöglichten.
Wird es für die SPD gegenüber den Arbeitnehmer-Wählern bei der BT-Wahl 2013 nicht enorme Erklärungsnöte geben?
Lieber Thomas Brenner,
Du sprichst in Deiner Mail zwei Baustellen an. Beides sind zentrale Politikfelder - allerdings sollte man sich davor hüten, sie gegeneinander "aufzurechnen".
Da sind einerseits die Probleme in Griechenland. Hier ist viel Vertrauen verlorengegangen, da die griechische Regierung zugesagte Maßnahem (Privatisierungen, Bürokratieabbau, Kampf gegen Korruption) immer wieder verschoben hat. Auf der anderen Seite sind die Sparanstrengungen Griechenlands in diesem Jahr enorm. Dennoch wird das Defizitziel wohl verfehlt, weil die Steuereinnahmen wegen der dramatisch schrumpfenden Wirtschaft wegbrechen. Zudem wird die Defizitquote wegen der Rezession steigen, selbst wenn die Sparziele nominell erreicht werden. Das Land hat mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von derzeit fast 7 Prozent zu kämpfen; die EU hatte für 2012 aber ein Wachstum von 1,1 Prozent erwartet und dies als Basis für die bisherigen Hilfsprogramme genommen. Man wird das Reformprogramm daher zeitlich anpassen müssen. Das berührt aber letztlich nicht das Ziel der Anstrengungen: An der Konsolidierung des griechischen Haushalts führt kein Weg vorbei. Um dies sicherzustellen, sind die Hilfen für Griechenland aber auch an Bedingungen gebunden. So kann man auch die Auszahlung der nächsten Tranche an Konditionen knüpfen, nach dem Motto: Die Auszahlung finden immer statt unter Bewertung des konkreten Fortschrittes in Griechenland. Zudem ist ein Umbau des griechischen Steuerwesens unvermeidlich. Es wird Experten aus anderen Ländern brauchen, die vor Ort in Athen beim Aufbau eines effektiven Steuersystems helfen. Auch die von Dir angesprochene Verteidigung von Pfründen sind ein großes Problem, dessen Lösung noch einige Zeit sowie einen teils schmerzhaften Erkenntnisprozess in der griechischen Gesellschaft (der m.E. aber langsam in Gang kommt) brauchen wird. Wir sollten uns dabei aber ehrlich machen und den Menschen sagen: Weil die Kosten so unkalkulierbar sind, wenn Griechenland kollabiert oder ausscheidet und dann kollabiert, kostet es etwas. Ich bin dafür, hier wirklich Tacheles zu reden, anstatt herum zu lavieren wie die Kanzlerin, die zunächst mit Blick auf die Umfragewerte zuhause alle Hilfen erst mit Abscheu und Empörung zurückweist ("Kein Cent für Griechenland!"), um ein paar Monate später doch genau so zu handeln.
Rente: Wird in der Partei ja gerade intensiv diskutiert. Jetzt kommt es m.E. darauf an, das Rentensystem so weiterzuentwickeln, dass die Balance zwischen Jung und Alt erhalten bleibt. Also keine Beiträge, die durch die Decke schießen und von den Jungen, die "nebenbei" auch Familien gründen und ernähren sollen, dann kaum mehr zu bezahlen sind. Aber wir dürfen auch keinen Älteren zurücklassen. Besonders um die, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erwerbstätig sein können, müssen wir uns kümmern. Ein paar Pflöcke in diese Richtung sind ja schon eingeschlagen worden (Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, Förderung von Betriebsrenten und die sogenannte Solidarrente). Ich bin zuversichtlich, dass der Konvent am 24.11. einen Beschluss fassen wird, der sich auf breite Zustimmung innerhalb der Partei stützen kann. Zum Stichwort Rentenkürzung: Es ist ja Konsens in der Partei, dass das Renteneintrittsalter erst dann ansteigen kann, wenn mindestens die Hälfte der über 60 Jahre alten Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Außerdem ist es ein Missverständnis, ein Absinken des Rentenniveaus auf 43% sei gesetzlich festgelegt. 43% sind nicht Ziel sondern vielmehr die rote Linie, die auch nach 2020 nicht unterschritten werden darf.
Niedriglöhne/Leiharbeit: Grundsätzlich waren die Hartz-Reformen richtig; allerdings öffnen auch Regelungen, die in guter Absicht geschaffen wurden, bisweilen die Tür für Entwicklungen, die so niemand wollte. Gute Politik bedeutet deshalb auch, zu sehen, wohin sich die Dinge entwickeln und ggf. Fehler zu korrigieren. Stichworte sind hier "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in der Leiharbeit, der gesetzliche Mindestlohn und Begrenzung von Minijobs, um die Auswüchse von prekärer Beschäftigung zurückzuschneiden. Daneben wird man aber auch andere Faktoren in den Blick nehmen müssen, die den Druck auf die Löhne bewirken, etwa die immer weitere schrumpfenden betriebliche Mitbestimmung. Hier braucht es stärkere Gewerkschaften und ein Bewusstsein in den Belegschaften, dass ein hoher Organisationsgrad unabdingbar für die Wahrung ihrer Interessen ist.
Insofern wird es sicher keine Erklärungsnot geben. Erklärungsbedarf - und Deine Mail zeigt das ja - hingegen schon. Dabei ist es Aufgabe von Politik, sich hierum zu kümmern. Ich für meinen Teil werde mich auch weiter bei allen Gelegenheiten, sei es im Wahlkreis, in Berlin oder auf Internetforen wie diesem dafür einsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Arnold