Frage an Priska Hinz von Ralph T. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Hinz,
In letzter Zeit hört man in diversen politischen Verlautbarungen wieder das Wort "Vollbeschäftigung". Ich kann jetzt zwar keine Quelle nennen, aber ich erinnere mich doch, dass auch schon die Rede davon war, Vollbeschäftigung werde langfristig angestrebt.
Ich bin folgender Ansicht:
Wenn wir unter Beschäftigung jene meinen, die über das Kehren von öffentlichen Gehwegen hinausgeht, so ist Vollbeschäftigung infolge der fortschreitenden Technik völlig unerreichbar geworden. Tatsächlich werden Arbeitsplätze, die den Namen verdienen, kontinuierlich verschwinden.
Hier nun meine Frage:
1) Glaubt man in politischen Zirkeln tatsächlich an Vollbeschäftigung, bzw. auch nur an die Verfügbarkeit einigermaßen sinnvoller Beschäftigung in den nächsten 20-30 Jahren?
2) Gibt es in der Politik Gruppen, die sich ernsthaft mit dem Verschwinden der Arbeit befassen?
3) Denkt man ernsthaft darüber nach, wie man reagieren soll?
Ich frage tatsächlich nur aus Neugier. Denn ich bin verblüfft, mit welcher Beharrlichkeit etwas nicht ausgesprochen wird, das mindestens so sicher eintreten wird, wie die Erderwärmung, wenngleich es nur einen winzigen Teil der Menschheit betreffen wird, z.Bsp.: uns (weil die allermeisten Menschen in der Welt, wenn überhaupt, bereits eine Arbeit ausüben, über die wir auch nicht ansatzweise nachdenken wollen).
Im übrigen ist es kein Problem der Zukunft mehr. Wir stecken eigentlich schon mitten drin. Denn was ist mit den vielen jungen Menschen, die ohne Beruf aufwachsen, oder einem Job nachgehen, den auch ein dressierter Hund ausüben könnte. Das ist ganz klar eine Folge der Technik (Die erlebte Globalisierung ist auch nur mit Hilfe moderner Technik denkbar).
Ich vermisse Politiker, die das deutlich aussprechen und vielleicht sagen: "Ja, die Dinge laufen in die Richtung, aber ich weiß auch keine Lösung." Wenn aber jemand von "Vollbeschäftigung, ein realistisches Ziel" spricht, so packt mich, ehrlich gesagt, Wut.
Mit freundlichen Grüßen
Ralph Tremmel
Sehr geehrter Herr Tremmel,
vielen Dank für Ihre Frage. Sie haben Recht, in letzter Zeit ist auf Seiten der Bundesregierung, insbesondere bei Arbeitsminister Olaf Scholz, immer wieder von Vollbeschäftigung die Rede gewesen. Dabei wird der Begriff Vollbeschäftigung innerhalb der Regierung unterschiedlich definiert. Im Allgemeinen wird unter Vollbeschäftigung verstanden, dass die Arbeitslosenquote unter einem bestimmten Wert (3 bis 4 Prozent) liegt. Arbeitsminister Scholz hat aber erklärt, dass für ihn Vollbeschäftigung bedeutet, wenn jeder nach spätestens einem Jahr einen neuen Job findet. Von der Erfüllung beider Definitionen ist Deutschland auch in diesem Jahr, in dem die Arbeitsmarktdaten noch nicht durch den Konjunkturabschwung geprägt sind, meilenweit entfernt. Angesichts der drohenden Rezession werden die Arbeitslosenzahlen wieder steigen, auch weil die Bundesregierung keinerlei Vorsorge getroffen und Strukturreformen verweigert hat.
Dass es aber auch anders geht, zeigt das Beispiel Dänemark. Die Arbeitslosenquote liegt in Dänemark seit einigen Jahren bei ca. 1,6 Prozent. Da kann man durchaus von Vollbeschäftigung sprechen. Mir scheint es auch keineswegs so, dass Industriegesellschaften auf Grund des technischen Fortschritts sinnhafte und erfüllende Arbeit ausgeht. Es gibt in Deutschland derzeit trotz hoher Arbeitslosigkeit einen erheblichen Fachkräftemangel, der sich durch die demografische Entwicklung noch verschärfen wird. Auch gibt es ein erhebliches Potential für neue Arbeitsplätze im Bereich Dienstleistungen oder im Umweltsektor.
Ein spezielles Problem in Deutschland ist, dass wir zu viele junge Menschen ohne einen Schulabschluss oder eine Berufsausbildung ins Erwerbsleben gehen lassen. Dadurch ist ihr Risiko, arbeitslos zu werden und auch längerfristig zu bleiben, sehr hoch. Um dem Ziel Vollbeschäftigung auch in Deutschland näherzukommen, werden wir nicht nur neue zukunftsträchtige Arbeitsplätze erschließen, sondern auch diesem bildungspolitischen Skandal begegnen müssen. Für beide Strategien tut die Bundesregierung aber bislang viel zu wenig.
Was Ihre konkreten Fragen angeht, so kann ich nur für mich und die Grünen sprechen. Das Beispiel Dänemark zeigt, dass Vollbeschäftigung möglich ist, vielleicht in fernerer Zukunft auch in Deutschland. Vollbeschäftigung erreicht man aber nicht durch politische Proklamation, sondern indem Politik geeignete Rahmenbedingungen setzt. Wir debattieren daher nicht über das Verschwinden der Arbeit, sondern über sinnvolle neue Arbeitsfelder und die Rahmenbedingungen für Arbeit. Wir treten dafür ein, dass Qualifizierung endlich im Mittelpunkt steht, Investitionen in zukunftstaugliche Bereiche fließen und Arbeitssuchende besser unterstützt werden.
Herzliche Grüße
Priska Hinz