Frage an Priska Hinz von christian k. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Hinz,
alle Jahre wieder werden sie im Bundestag dazu aufgerufen einer
Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan zuzustimmen.
letztes Jahr haben Sie sich über den Beschluss ihres Parteitages
hinweggesetzt und für eine Verlängerung gestimmt .
War es die Sache wert ?
Laut Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) hat sich die Lage
der afghanischen Bevölkerung seit Beginn des NATO-Einsatzes weiter
verschlechtert:
“ More than half of all Afghans living in urban centres have no access to water from improved water sources. In rural areas, it is estimated that 4 out of every 5 Afghans may be drinking contaminated water.”
http://www.undp.org.af/MDGs/goal7.htm
Glauben sie, dass eine Aufstockung der Truppen dort, um weiter 1000 Soldaten, sowie eine Verlängerung des Einsatzes, der afghanischen Bevölkerung , irgendeinen spürbaren Vorteil bringt ?
wie werden Sie diesmal abstimmen ?
mit freundlichen Grüßen
Christian Kumbier
Sehr geehrter Herr Krumbier,
in dieser Woche hat der Bundestag mit den Abstimmungen über die Verlängerung der Bundeswehrmandate in Afghanistan begonnen. Den Auftakt bildete die Entscheidung über das ISAF-Mandat am 16. Oktober 2008, im November wird dann die weitere Beteiligung an der Operation Enduring Freedom (OEF) zur Debatte stehen. Ob und in welcher Form AWACS-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan eingesetzt werden sollen, ist weiter unklar. Fakt aber ist, dass sie nicht Teil des ISAF-Mandats sein werden.
Die Debatte um den Afghanistan-Einsatz wurde in den letzten Jahren bei uns Grünen sehr intensiv und kontrovers geführt. Auch bei der Abstimmung über die Verlängerung des ISAF-Mandates im letzten Jahr -- die mit dem Einsatz der Tornado-Aufklärungsflugzeuge verknüpft war -- war die große Mehrheit der grünen Bundestagsfraktion von der grundsätzlichen Notwendigkeit der ISAF-Präsenz in Afghanistan überzeugt. Die Mehrheit der Fraktion hat mit Enthaltung gestimmt, weil es durchaus ernstzunehmende kritische Stimmen zum Tornado-Einsatz gab.
Unter Abwägung aller Gesichtspunkte hatte ich mich damals entschieden, der Fortführung des Gesamt-ISAF-Mandats eine größere Bedeutung einzuräumen als den bestehenden kritischen Fragen zum Tornado-Einsatz. Daher habe ich bei der Abstimmung über das ISAF-Mandat mit Ja gestimmt.
Seit dem letzten Jahr haben sich in Afghanistan die Dinge weiterentwickelt - einige zum Guten, einige zum Schlechten.
Es gibt Erfolge, die in der gegenwärtigen Diskussion meist zu kurz kommen. Gegenüber 2001 haben sich in Afghanistan fast alle Parameter verbessert. 6,2 Millionen Kinder können inzwischen die Schule besuchen, ein Drittel davon sind Mädchen. 85 Prozent der Bevölkerung hat inzwischen Zugang zu basismedizinischer Versorgung. Die Mohnanbaufläche hat sich um 19 Prozent verringert, die Hälfte der afghanischen Provinzen ist inzwischen drogenanbaufrei.
Erwähnenswert ist auch, dass sich die Befürchtungen über den im letzten Jahr sehr umstrittenen Einsatz der Tornados nicht bewahrheitet haben.
Allerdings ist die aktuelle Situation im Land unbestreitbar angespannt und fragil. Umso wichtiger ist uns Grünen, die "Afghanisierung" des Landes voranzutreiben. Das heißt, unsere Unterstützung und alle Maßnahmen müssen darauf ausgerichtet sein, dass die einheimische Bevölkerung ihre Angelegenheiten, ihren Schutz und ihre Verteidigung selbst in die Hand nehmen kann. Hierfür müssen die zivilen Aufbauhelfer auch nach deren Auskunft noch Hilfestellung leisten. In diesem Bereich hat die Bundesregierung - auch auf massives Drängen der Grünen hin - die Finanzen mehr als verdoppelt. Ebenso müssen die Mittel für den Polizeiaufbau und die Zahl der Ausbilder weiter aufgestockt werden, auch wenn im letzten Jahr genauso wie bei der Entwicklungshilfe bereits ein starker Anstieg zu verzeichnen war.
Ein großes Problem ist weiterhin der Einsatz von OEF, der nicht nur nicht hilft, sondern dem ISAF-Einsatz auch zuwiderläuft. Die Bundesregierung muss sich deshalb dafür einsetzen, dass OEF insgesamt beendet wird. Der Rückzug der nicht mehr im Einsatz befindlichen deutschen KSK-Soldaten reicht nicht aus.
Ausschlaggebend ist für mich nach allen Abwägungen, dass es nach wie vor in einigen wichtigen Bereichen Verbesserungen gibt und die zivilen Gruppen für den Wiederaufbau nur mit dem Schutz von ISAF weiterarbeiten können. Würden die Soldaten abgezogen, müssten auch die zivilen Helfer das Land verlassen und würden die afghanische Bevölkerung, die nach wie vor unseren Schutz braucht und will, alleine lassen. Einen Rückfall in die düstere Zeit des Taliban-Regimes oder in einen zerstörerischen Bürgerkrieg darf es nicht geben. Wir stehen den Menschen im Land gegenüber in der Pflicht. Ein Abzug der deutschen ISAF-Truppen wäre für sie ein verheerendes Signal und würde als "Flucht aus der Verantwortung" gewertet. Die Bundeswehr ist auf ausdrücklichen Wunsch der Regierung der Islamischen Republik Afghanistan zur Unterstützung und Sicherung des Wiederaufbaus vor Ort. Völkerrechtlich ist der Einsatz durch die Resolution 1746 des UN-Sicherheitsrats gedeckt.
Ich hoffe, dass die Menschen in Afghanistan nach Jahrzehnten des Krieges und der Repression schnellstmöglich in Ruhe und Frieden leben können. Dies zu ermöglichen ist die Verpflichtung, die wir eingegangen sind und an der wir unsere Arbeit und unsere Entscheidungen werden messen lassen müssen.
Aus diesen Gründen habe ich der Verlängerung des ISAF-Mandates am 16. Oktober 2008 zugestimmt.
Herzliche Grüße
Priska Hinz