Frage an Priska Hinz von christian k. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Ein anderer politisch interessierter Mensch bat Sie an dieser Stelle
um einen Nachweis für folgendes statement, dass Sie jemand anderem
als Begründung für Ihre Zustimmung zum Afghanistan einsatz
gaben.
"Ich möchte mit meinem Ja den Menschen in Afghanistan deutlich machen, dass wir die Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, weiter wahrnehmen wollen. Trotz aller Schwierigkeiten dürfen wir die bisherigen Erfolge nicht außer Acht lassen: 6,2 Millionen Kinder besuchen inzwischen eine Schule, ein Drittel davon Mädchen. 85 Prozent der Bevölkerung hat Zugang zu basismedizinischer Versorgung bekommen und die Hälfte der afghanischen Provinzen ist inzwischen drogenanbaufrei. "
Bis dato gibt es dazu Ihrerseits keine Antwort, aber in der Zwischenzeit haben Sie wieder
für eine Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes gestimmt.
Nach meinem Kenntnisstand ist die Lage keineswegs so rosig wie Sie sie immer darstellen:
,
• 40% der Bevölkerung waren 2008 arbeitslos (Schätzung des
CIA Fact Book, andere Quellen geben noch höhere Zahlen
an)
• 61% der Bevölkerung sind chronisch unterernährt
• Die Lebenserwartung ist auf 43,1 Jahre gesunken
• Die Alphabetisierungsrate (Erwachsene) ist von 28,7% auf
23,5% gefallen
• Lediglich 13% der Afghanen haben gesicherten Zugang zu
Trinkwasser
Das sind Zahlen die aus Berichten von OXFAM, Der UN und anderen Instituten herausgegeben wurden und hier übersichtlich dargestellt werden.
http://imi-online.de/download/Fact-Sheet-Afghanistan-Juli2010.pdf
Jetzt möchte ich von Ihnen wissen, warum Sie seit 10 Monaten die Beantwortung der Frage woher Sie Ihre Zahlen haben, aussitzen ?
Mit freundlichen Grüßen
Christian Kumbier
Sehr geehrter Herr Kumbier,
Die Angaben in meiner Antwort an Herrn Wartenhorst stammen aus den Fortschrittsberichten der Bundesregierung, kamen ebenfalls im Bundestag zur Sprache und wurden dort nie bestritten. Auch unsere Fachleute von Bündnis 90/Die Grünen haben die Zahlen bestätigt.
Auch diesmal habe ich mir die Entscheidung nicht leicht gemacht, ob ich der Mandatsverlängerung zustimmen kann. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich jedoch auch diesmal für die Verlängerung des ISAF-Mandates für Afghanistan ausgesprochen, gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Tom Koenigs, Omid Nouripour, Manuel Sarrazin und Daniela Wagner. Unsere Gründe haben wir in einer gemeinsamen Erklärung dargelegt, die Sie auch auf meiner Homepage finden.
„Die Bundesregierung bleibt dem Parlament zum Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von ISAF eine unabhängige Evaluation schuldig. Der im Dezember 2010 vorgelegte Fortschrittsbericht kann eine solche Wirksamkeitsanalyse nicht ersetzen.
Auch einen konkreten Aufbau- und Abzugsplan hat die Bundesregierung dem Parlament bis heute nicht vorgelegt. Welche Aufbau- und Stabilisierungsziele will die Bundesregierung in Abstimmung mit den afghanischen und internationalen Partnern verwirklichen? Welche überprüfbaren Zwischenziele und Meilensteine müssen hierfür erreicht werden? In welchen konkreten Schritten wird die Bundesregierung ihren Beitrag zur Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanischen Sicherheitskräfte leisten? Auf diese Fragen muss die Bundesregierung dem Parlament und der Öffentlichkeit endlich Antworten geben.
Jetzt gilt es, die noch bestehenden Chancen für die Entwicklung in Afghanistan aktiv zu ergreifen und weiterzuentwickeln. Dies gelingt nur, wenn der zivile Aufbau weiter forciert und künftig in den Mittelpunkt gestellt wird. Die finanziellen Mittel für den entwicklungspolitischen Wiederaufbau gilt es auf hohem Niveau über das Jahr 2014 hinaus zuzusagen. Insbesondere in den Bereichen Bildung, ländliche Entwicklung und Frauen muss das deutsche Engagement ausgebaut werden.
Wir sind uns der momentanen Rückschläge und der Risiken der weiteren Entwicklung in Afghanistan bewusst. Dazu haben auch zahlreiche Versäumnisse und Fehlentwicklungen des deutschen Engagements beigetragen. Hierzu gehören kontraproduktive militärische Operationen, die umgehend beendet werden müssen. Außerdem muss die Praxis des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, dass deutsche Nichtregierungsorganisationen Mittel für Projekte nur im Einsatzgebiet der Bundeswehr beantragen dürfen und sich dem Konzept der Vernetzten Sicherheit unterordnen müssen, sofort ein Ende finden.
Die Sicherheitslage in vielen Teilen Afghanistans ist noch nicht ausreichend stabil. Ohne ein Mindestmaß an Sicherheit kann der zivile Aufbau jedoch nicht gelingen. Ohne substanziellen Schutz können die zivilen Aufbauhelferinnen und –helfer ihre wichtige Arbeit nicht leisten. Daher ist es derzeit notwendig, dass die ISAF-Truppen und damit die Bundeswehr in Afghanistan bleiben, um einen Beitrag zur Stabilisierung zu leisten.
Gleichwohl sind wir überzeugt, dass mit einem schrittweisen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan 2011 begonnen werden kann. Wir fordern die Bundesregierung außerdem auf, einen verantwortbaren Abzug der Bundeswehr in Abstimmung mit der afghanischen Regierung bis 2014 anzustreben.
Trotz unserer Kritik an der unzureichenden und teilweise fehlgeleiteten Afghanistan-Strategie der Bundesregierung stimmen wir dem Mandat zur Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr bis zum 31. Januar 2012 zu. Dies ist eine Gewissensentscheidung.
Mit dem Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan haben wir eine Schutzverantwortung für die den Menschen dort übernommen. Wir sind verpflichtet, sie nicht alleine zu lassen.
Zustimmung bedeutet für uns auch, weiter Mitverantwortung zu übernehmen für den schwierigen, teilweise lebensgefährlichen Einsatz der Soldatinnen und Soldaten sowie der zivilen Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfern. Ihnen gilt unsere Unterstützung.
Ein sofortiger militärischer Abzug würde die erreichten Erfolge zum Großteil zunichtemachen, die Menschen in Afghanistan in einem neu eskalierenden Bürgerkrieg alleine zurücklassen und die gesamte Region destabilisieren. Dies bestätigen beispielsweise der pakistanische Journalist Ahmed Rashid, der einen sofortigen Abzug als „Katastrophe“ bezeichnete, sowie der afghanische Journalist Sonjar Sohail, der in einem Beitrag für die Heinrich Böll-Stiftung Kabul vom 23. Januar 2011 eindringlich im Namen der afghanischen Bevölkerung für ein Bleiben der westlichen Truppen plädierte. Eine Destabilisierung der Region kann bis hin zur Machtergreifung islamistischer Regime in Afghanistan und sogar Pakistan führen, was unter dem Aspekt des Atombombenbesitzes Pakistans eine besondere Gefährdung nicht nur dieser Region bedeuten würde.
Ein einseitiger Abzug der Bundeswehr wäre gleichzeitig der Ausstieg aus einer verantwortlichen multilateralen Politik. Das weitere Vorgehen in Afghanistan muss innerhalb der internationalen Gemeinschaft abgestimmt werden. Es gab keinen deutschen Sonderweg beim Beginn des militärischen Engagements, es darf auch keinen deutschen Sonderweg bei dessen Abschluss geben.
Freundliche Grüße
Ihre Priska Hinz