Warum sieht das gesetzliche Erbrecht für Kinderlose (verheiratet oder unverheiratet) immer die Eltern als (teilweise) Erben vor, ohne dass es eine Möglichkeit der vollen Enterbung gibt?
Eltern können sich für oder gegen Kinder entscheiden und "haften" dann in der Vererbung. Kinder können sich ihre Eltern nicht aussuchen, sind aber gezwungen, die Eltern immer zu beerben, selbst wenn die Eltern die schrecklichsten und miesesten Eltern sind. Es kann Kindern nicht zugemutet werden, die sich nicht aussuchen konnten ob sie als Kinder ihrer Eltern geboren werden, sich für immer mit diesen auseinander setzen zu müssen. Ähnliches gilt für die Beteiligung an Pflegekosten. Selbst wenn sich die Eltern von den Kindern lossagen, diese beschimpfen und nicht die Eltern sein sollen, ist man gezwungen, ab einem Einkommen von 100.000 Euro später für die Eltern zu sorgen. Wie kann dieser Staat Kindern von miesen Eltern dies antun?
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Frage!
Das deutsche Erbrecht, genauer § 1925 Abs. 1 BGB, sieht vor, dass die Eltern und Geschwister des Erblassers als dessen Erben eintreten. Als sogenannte „Erben 2. Ordnung“ sind sie jedoch immer dann von der Erbfolge ausgeschlossen, wenn der Erblasser Kinder, Enkel oder weitere Abkommen hatte, sogenannte „Erben 1. Ordnung“. Sollten die Eltern zu den gesetzlichen Erben gehören, steht ihnen, wie sie bereits richtig erkannt haben, selbst im Falle einer Enterbung ein Pflichtteil zu, welcher ihnen eine Mindestbeteiligung am Nachlass des Erblassers sichert.
Sicher mag es in einigen Situationen, wie von Ihnen beschrieben, merkwürdig und unbefriedigend anmuten, dass Eltern, welche ihren elterlichen Pflichten unzureichend nachgekommen sind, als Erbe am Nachlass des Kindes teilhaben dürfen. Dennoch hat sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, dass Pflichtteilsrecht weiterhin gesetzlich zu gewährleisten, um der gegenseitigen familiären Verantwortung Rechnung zu tragen: So können auch die Eltern ihre Kinder nicht von dem ihnen zustehenden Pflichtteil ausschließen.
Auch das Bundesverfassungsgericht stellte in einem Grundsatzurteil im Jahr 2005 klar, dass die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung in Form des Pflichtteils verfassungsrechtlich gewährleistet ist und durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt wird. Dennoch wird auch das Pflichtteilsrecht nicht grenzenlos gewährt. In Fällen von Gewalt, Vernachlässigung oder Missbrauch, auf die Sie in Ihrer Frage anspielen, ist eine Entziehung des Pflichtteils gem. § 2333 BGB ausdrücklich vorgesehen und möglich. Ansonsten ist jedoch ebenfalls zu bedenken, dass im Grundsatz in Eltern-Kind-Beziehungen von einer engen familiären und gemeinschaftlichen Bindung auszugehen ist, sodass die Familie auch im Erbfall eine Solidargemeinschaft darstellt und rechtfertigt, in der die Eltern für ihre Kinder, aber eben auch die Kinder für ihre Eltern füreinander Sorge tragen und einander beistehen. Diesem Gedanken trägt der Pflichtteilsgrundsatz Rechnung.
Dieser Gedanke liegt zudem auch dem Elternunterhalt zugrunde, auf welchen sie weiter in Ihrer Frage eingehen: Auch hier gilt, dass sowohl die Kinder für die Eltern, aber eben auch die Eltern für die Kinder ab einem Einzeleinkommen von 100.000€ und dem Vorliegen weiterer Voraussetzungen Unterhalt für die Pflege zahlen müssen. Auch hier ist jedoch eine Ausnahmeregelung vorgesehen: Haben die Eltern sich erheblicher Verfehlungen gegen das Kind schuldig gemacht, wird der Unterhaltsanspruch entsprechend reduziert oder entfällt komplett.
Mit freundlichen Grüßen
Philipp Hartewig