Frage an Peter Ramsauer von Gabriele Pfennig, D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Ramsauer,
Laut Statistischem Bundesamt lebten am 31.12.2006 ca. 1,8 Millionen Türken (1,48% der Gesamtbevölkerung) in Deutschland. Wieviel Türken gibt es mit deutscher Staatsangehörigkeit? 400 000 oder 900 000? Wieviel von diesen Personen besitzen die dopplte Staatsbürgerschaft, d.h. die deutsche und die türkische?
(Wer in Deutschland eingebürgert werden möchte, muss die bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben, Ausnahme Eu- Bürger und Schweizer Bürger)
Warum wird diesen Personen dann nicht - wie in Bayern 2005 geschehen - die deutsche Staatsangehörigkeit wieder aberkannt? Wieso kann Herr Kolat, der Vorsitzende der türkischen Gemeinde
Deutschlands ,sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzen? Sollte es Privilegien für die doppelte Staatsbürgerschaft bei Türken geben?
Wie verhält sich die Bundesrepublik zur Wehrpflicht bei Personen, die bis zum 18.Lebensjahr zwei Staatsangehörigkeiten besitzen, sich aber zwischen dem 18. und erst dem 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden müssen?
Hochachtungsvoll,
Dr. Gabriele Pfennig
Sehr geehrte Frau Dr. Pfennig,
zu Ihren Fragen rund um die doppelte Staatsangehörigkeit und insbesondere die so genannte Optionsstaatsbürgerschaft bei "abgeordnetenwatch.de" möchte ich Ihnen hiermit antworten.
Belastbare statistische Daten über die Zahl der in Deutschland lebenden Personen, die die türkische und zugleich die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, stehen den deutschen Behörden nicht zur Verfügung. Dies erklärt sich daraus, dass es unterschiedliche Fallgestaltungen gibt, in denen jemand auf legalem Weg zugleich die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit besitzen kann, und gesonderte statistische Erfassungen nicht für alle Fallgestaltungen erfolgen.
Doppelte Staatsangehörigkeit (zum Beispiel Deutschland / Türkei) besitzen zum einen Kinder aus binationalen Ehen. In diesen Fällen kann das Kind beide Staatsangehörigkeiten auf Dauer behalten. Des Weiteren gibt es einige Fälle anerkannter Asylbewerber, die aus der Türkei stammen und in Deutschland inzwischen eingebürgert wurden, ohne dass die Türkei deren Entlassung aus der alten Staatsangehörigkeit zugestimmt hat; hierbei handelt es sich in der Regel um kurdische Volkszugehörige.
Die größte Gruppe von Personen, die auf legale Art und Weise die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit zugleich besitzt, erklärt sich aufgrund der bis Ende 1999 geltenden Rechtslage. Bis Ende 1999 konnten in Deutschland lebende ausländische Staatsangehörige, die ihr zehntes Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und die sonstigen Einbürgerungsvoraussetzungen (unter anderem acht Jahre Aufenthalt in Deutschland) erfüllten, auf Antrag die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben und gleichzeitig die andere Staatsangehörigkeit behalten. Diese Regelung wurde als so genannte Inländerklausel bezeichnet. Hiervon haben auch zahlreiche türkische Staatsangehörige auf legalem Wege Gebrauch gemacht. CSU und CDU haben sich seinerzeit mit Nachdruck und erfolgreich für die Abschaffung dieser Möglichkeit eingesetzt, die schließlich nach einer Übergangszeit im Jahr 2000 zum 31. Dezember 2000 ausgelaufen ist. Nichtsdestotrotz kann und soll den Personen, die auf diese Weise Doppelstaatsangehörige wurden, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht mehr nachträglich aberkannt werden, da die Betroffenen nach damaligem Recht legal Doppelstaatsangehörige geworden sind. Zu dieser Gruppe mag auch das von Ihnen angeführte Beispiel zählen, ohne dass ich indessen über den konkreten Fall nähere Kenntnisse hätte.
Die von Ihnen genannte Regelung, die in Bayern konsequent umgesetzt wurde, betrifft eine andere Fallgestaltung. Nach dieser Regelung, die seit dem 1. Januar 2000 gilt, verliert ein deutscher Staatsangehöriger, der eine ausländische Staatsangehörigkeit beantragt, im Zeitpunkt des Erwerbs der ausländischen Staatsangehörigkeit automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit (außer bei EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz). Dies erfasst aber nicht die oben von mir beschriebenen Fälle, in denen jemand auf legale Art Weise neben der deutschen auch eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt. Erfasst werden sollten vielmehr diejenigen, die sich in Deutschland einbürgern ließen und danach, ohne Kenntnis der deutschen Behörden, ihre frühere Staatsangehörigkeit auf Antrag wieder erhalten haben. Ein solches Verhalten, das früher in zahlreichen Fällen zu beobachten war, war aus Sicht von CSU und CDU eindeutig Missbrauch. Daher haben wir durch den automatischen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit diesem Missbrauch zum 1. Januar 2000 einen Riegel vorgeschoben. Eine gesonderte "Aberkennung" der deutschen Staatsangehörigkeit - wie Sie offenbar annehmen - ist in diesen Fällen im Übrigen nicht nötig. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit tritt stattdessen automatisch per Gesetz ein.
Soweit sie nach Privilegien für bestimmte Staatsangehörige im Hinblick auf die doppelte Staatsangehörigkeit fragen, sage ich klar und deutlich: irgendwelche Privilegien für bestimmte Gruppen - jenseits der EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz -, etwa für Türken, gibt es nicht und wird es auch nicht geben. Jedoch gab es, wie oben beschrieben, bis zum 31. Dezember 2000 eine Begünstigung so genannter Inländer bei der Einbürgerung, die jedoch auf nachdrückliches Betreiben der Union hin beendet wurde.
In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern haben bis zum 18. Lebensjahr neben der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern auch die deutsche Staatsangehörigkeit und müssen sich mit Volljährigkeit für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden. Sie fragen nach der Behandlung dieser Personen im Rahmen der deutschen Wehrpflicht. Hierfür gelten keine Besonderheiten. Das heißt: als deutsche Staatsangehörige unterliegen sie der deutschen Wehrpflicht. Sollten sie sich bereits vor ihrer Wehrerfassung für die ausländische Staatsangehörigkeit entschieden haben, so unterfallen sie ab diesem Zeitpunkt selbstverständlich nicht mehr der deutschen Wehrpflicht. Die ersten konkreten Fälle von Betroffenen, die sich zwischen den zwei Staatsangehörigkeiten entscheiden müssen, werden im laufenden Jahr 2008 aktuell. Wir werden sehr sorgfältig beobachten, ob die geltenden gesetzlichen Regelungen für die Ausübung des Wahlrechts im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit praktikabel sind oder aber nachjustiert werden müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Gez. Dr. Peter Ramsauer