Frage an Paul Ziemiak von Michael H. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Ziemiak,
zunächst möchte ich begrüssen dürfen, dass Ihr Social Media Team darum bemüht ist, die Fragen der Bürger:innen auf dieser Plattform zu beantworten.
Die Regelsätze der Grundsicherungsleistungen verlaufen parallel prozentual in etwa gleichförmig zu der Einkommens-, Renten- und Abgeordnetenentschädigungsentwicklung. So beträgt die aktuelle Anpassung des Regelsatzes für alleinstehende Erwachsene in absoluten Zahlen 7€ mtl. und somit ca. 1,6%. Die Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung im Jahre 2019 betrug prozentual 3,1% = 303€, und somit beinahe schon soviel wie der monatliche Regelsatz für ein 13jähriges Kind im Grundsicherungsbezug, dessen täglicher Nahrungsmittelregelsatz inklusive aller Getränke und Mahlzeiten 4€ beträgt.
Wie möchte Ihre Partei verhindern, dass unter Beibehaltung dieser Sozialpolitik der Gini-Koeffizient der Einkommen und Vermögen langfristig exponential mathematisch näherungsweise gegen 100 wächst, zumal nicht wenige Abgeordnete Ihrer Fraktion die Sozialausgaben ohnehin als zu hoch erachten?
Weiterhin würde mich interessieren, wie Ihre Partei eine notwendige Umstrukturierung in der Fleischindustrie mit den geringen Tagesregelsätzen für Kinder im Grundsicherungsbezug harmonisieren möchte?
Mit freundlichen Grüßen
M. H.
Sehr geehrter Herr H.,
vielen Dank für Ihre anspruchsvollen Fragen. Ich werde versuchen diese in drei Abschnitten zu beantworten.
Sie sprechen den Gini-Index an. Ihre Sorge teile ich dbzgl. nicht. Deutschland hat im internationalen Vergleich einen geringen Gini-Index. Ein Extremwert, wie von Ihnen prognostiziert, ist für Deutschland sehr unwahrscheinlich. In Afrika gibt es vereinzelt Staaten, die um die 60% aufweisen. In Deutschland ist es ca. die Hälfte.
Weiter ist der Gini-Index letztlich nur im direkten Vergleich zweckmäßig, weil er keine Rückschlüsse auf die ärmeren Teile innerhalb einer Gesellschaft zulässt. So gehört Deutschland zu den 20 Staaten mit dem geringsten Gini-Index. Neben Deutschland zählen Schweden, Norwegen, Österreich, Dänemark, Finnland, die Niederlande oder Belgien dazu. Neben diesen Staaten zählen jedoch auch Moldau, der Kosovo, Albanien, die Ukraine, Belarus oder Kasachstan dazu. An dieser ungleichen Verteilung lässt sich erkennen, dass die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung keine direkten Rückschlüsse auf den Lebensstandard der ärmsten Teile der Gesellschaft zulässt. Diesen statistischen Trugschluss kann man an einem weiteren Beispiel erkennen. Die Zahl der Menschen, die von staatlichen Transferleistungen leben, hat sich seit 2015 erhöht und dadurch natürlich auch die Ungleichheit bei den Einkommen. Wenn Menschen ihr Einkommen mit Zuwandern ohne Einkommen teilen, dann wird dies im Gini-Index als anwachsende Ungleichheit abgebildet. Unser System basiert deshalb sinnvollerweise auf dem Bedarfsprinzip. Ausgehend von den Bedürfnissen eines Menschen sind staatliche Transferleistungen darauf ausgerichtet.
Weiter sprechen Sie die Sozialausgaben an. Ich würde davon absehen pauschal „mehr“ oder „weniger“ Sozialausgaben zu fordern, da unser Sozialstaat wiegesagt bedarfsorientiert ist und dieser Bedarf sich durch äußere Faktoren ändern kann. Die Corona-Pandemie ist dafür ein Musterbeispiel. Die Sozialausgaben sind mit weitem Abstand der größte Haushaltsposten und die Umverteilung in Deutschland ist auf einem extrem hohen Niveau. Das zeigt ein Blick auf die Brutto- und Nettoeinkommen, die durch die progressive Einkommenssteuer extrem unterschiedlich sind. Auf der Ebene der Haushaltseinkommen wird die Ungleichheit von Brutto- zu Nettoeinkommen um ein Drittel abgesenkt.
Sie sprechen das Beispiel der Fleischindustrie an. Die absehbaren Umstrukturierungen werden sich höchstwahrscheinlich auf das Preisniveau von Fleisch auswirken und das wird wiederum die Berechnungsgrundlage für den Nahrungsmittelregelsatz beeinflussen. Ich teile Ihre Einschätzung, dass diese Entwicklung absehbar ist. Der Regelbedarf wird regelmäßig aufgrund der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter und Dienstleistungen angepasst. Steigende Lebensmittelpreise müssen entsprechend berücksichtigt werden.
Lassen Sie mich zum Schluss auf einen wichtigen Aspekt eingehen, der bei Fragen der Umverteilung zu oft vernachlässigt wird. Es gilt: Sozial ist, was Arbeit schafft. Das primäre Ziel unserer Politik muss es sein, dass die Grundsicherung gar nicht in Anspruch genommen werden muss, weil Menschen Arbeit haben.
Sehr geehrter Herr H., ich hoffe Sie bleiben gesund und bedanke mich für den Dialog.
Mit freundlichen Grüßen
Paul Ziemiak