Frage an Paul Lehrieder von Joachim S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Lehrieder,
vielen Dank für Ihre Antwort. Sie führen aus, dass sich die Zahl der Schutzsuchenden verdrei- bis vervierfachen würde, bei einem Nachzug der "Kernfamilie" - können Sie mir dafür eine Quelle nennen? Woher haben Sie diese Zahl? Ich habe mich in der Frage zudem auf unbegleitete Minderjährige bezogen. Dies macht einen großen Unterschied - Sie können das nicht einfach pauschalisieren.
Sie meinen, ein Fernbleiben der Familie sei für diese zu 70% 16-17 Jährigen Kinder durchaus zumutbar. Möchten Sie diese Kinder denn integrieren in unsere Gesellschaft sollen sie nur temporär in Deutschland Zuflucht finden? Eine Integration ohne familiären Halt ist höchst problematisch.
Auch führen Sie aus, dass diese Kinder vorgeschickt würden: aufgrund welcher seriösen Untersuchung kommen Sie zu dieser Annahme? Oder ist das nur Ihre persönliche (und leider zunehmend auch öffentliche) Annahme?
Eine weitere Frage habe ich zur medizinischen Sachlage: künftig wird es für Notleidende nötig sein, ein Fachgutachten innerhalb kürzester Zeit vorzulegen. Haben Sie schon mal selber ein medizinisches Gutachten un Deutschland angefordert und wissen, wie lange dies dauert?
Mit freundliche Grüßen,
Joachim Schwabe
Sehr geehrter Herr Schwabe,
herzlichen Dank für Ihre Rückfragen. Gerne gehe ich auf Ihre Punkte noch einmal ein.
Selbstverständlich ist es schwer, in Zusammenhang mit der zukünftigen Zahl von Asylgesuchen und Anträgen auf Familiennachzug absolut verlässliche Prognosen zu treffen. Dennoch ist es Aufgabe der Politik, Entwicklungen einzuschätzen und entsprechende Maßnahmen der Steuerung einzuleiten. Dabei helfen unter anderem bereits ermittelte Zahlen aus den vergangenen Jahren.
So stellte beispielsweise der frühere Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, 2015 fest, dass etwa zwei Drittel der Asylbewerber einen Antrag auf Familiennachzug stellten und durchschnittlich drei Familienmitglieder nachziehen wollten. Betrachtet man nun die Anzahl aller Personen, denen Familiennachzug zusteht, ergibt sich auf Basis dieser Schätzungen ein vielfacher Zuzug. Der Familiennachzug kann beantragt werden für die sogenannte Kernfamilie, also Ehepartner und minderjährige Kinder.
Wenn nun die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige thematisiert wird, so ist wichtig festzuhalten, dass dies lediglich einen kleinen Anteil aller Schutzbedürftigen betrifft. So wurden beispielsweise im ersten Halbjahr des Jahres 2015 114.060 Anträge beschieden, darunter wurde 39.552 Personen der Schutzstatus als Asylberechtigter oder Flüchtling zugesprochen. Diese Gruppe erhielt zunächst ein dreijähriges Aufenthaltsrecht und darf den Nachzug der Kernfamilie beantragen. Lediglich in 680 Fällen wurde entschieden, dass ein subsidiärer Schutzstatus gerechtfertigt ist. Für diese Personen wurde nun der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt. Diese Zahlen können Sie gerne auf den Seiten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nachvollziehen.
Sie beziehen sich auf den Familiennachzug für die unbegleiteten minderjährigen Schutzsuchenden. Ausgesetzt wird er auch hier nur für die Kinder und Jugendlichen, die einen subsidiären Schutzstatus haben – das bedeutet, sie haben zunächst auch nur ein Aufenthaltsrecht für ein Jahr. Sie werden der Jugendhilfe unterstellt und erhalten in dieser Zeit eine intensive Betreuung. Sie sind keineswegs sich selbst überlassen.
Wir wollen der Gefahr vorbeugen, dass Jugendliche bewusst geschickt werden, um die Aussetzung des Familiennachzuges dann über eine mögliche Ausnahmeregelung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu umgehen. Wie bereits in meiner letzten Antwort geschrieben: Es geht nicht mehr um das Wollen, sondern um das Können. Sie können sich sicher sein, dass ich mir die Entscheidungen in meiner Funktion als Politiker keineswegs leicht mache. Meine Zustimmung zum Asylpaket II erfolgte nicht aus Hartherzigkeit – und die meiner Kollegen sicherlich auch nicht. Es geht um die Einsicht in die Grenzen der Möglichkeiten für eine Aufnahme. Dazu zählt eine angemessene Unterbringung und Versorgung aber auch die Hilfen, die langfristig nötig sind, damit die Menschen, die bei uns bleiben, die Chance erhalten, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren.
Ich hoffe, dass Ihnen meine Ausführungen weiterhelfen. Sie haben natürlich zudem die Möglichkeit, mich in meinem Berliner Büro direkt zu kontaktieren.
Mit freundlichen Grüßen
Paul Lehrieder