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Paul Lehmann
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Frage von Rainer L. •

Frage an Paul Lehmann von Rainer L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Lehmann,

nach der Bekanntmachung des Bay.Staatministeriums des Inneren vom 29.11.2007 Az.:Id6-0331-2 ist die Partei DIE LINKE im Verzeichnis extremistischer oder extremistisch beeinflußter Organisationen aufgeführt. Im gleichen Verzeichnis stehen auch NPD oder Al-Quida-Organisationen.
Somit dürfen BewerberInnen für den öffentlichen Dienst in Bayern, die die Partei DIE LINKE unterstützen, nicht eingestellt werden.
Beamte oder Richter, die die Partei DIE LINKE unterstützen, müssen damit rechnen, daß gegen sie ein Disziplinarverfahren mit dem Ziele ihrer Entfernung aus dem Dienst eingeleitet wird.
Arbeitnehmer müssen in diesem Fall mit einer außerordentlichen Kündigung rechnen.

Frage 1: Welche Anzeichen sehen Sie, daß Personen, die die Partei DIE LINKE untersützen, keine Gewähr bieten, für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten?

Frage 2: In welchen anderen Bundesländern außer Bayern ist die Mitgliedschaft bei der Partei DIE LINKEN unvereinbar mit einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst.

Mit freundlichen Grüßen

Lipfert

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Lipfert,

Sie spielen in Ihren Fragen auf die Praxis der Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst in Bayern an, denen ein Verzeichnis von sog. extremistisch oder extremistisch beeinflussten Organisationen vorgelegt wird, unten denen unter „I. Linksextremismus“ auch die Partei DIE LINKE aufgeführt ist. Gestatten Sie mir, zu dieser Praxis und auch dem früheren sog. „Radikalenerlass“ eine etwas längere Vorbemerkung zu machen.

Am 28. Januar 1972 beschlossen die Ministerpräsidenten der Länder und Bundeskanzler Willy Brandt auf Vorschlag der Innenministerkonferenz den sog. „Radikalenerlass“. Zur Abwehr angeblicher Verfassungsfeinde sollten Personen, die nicht die Gewähr dafür bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten, vom öffentlichen Dienst ferngehalten bzw. daraus entlassen werden. Mit dem „Kampfbegriff“ der Verfassungsfeindlichkeit wurden systemkritische Organisationen und Personen diffamiert und diskriminiert und an den Rand der Legalität gerückt. Bis zur Abschaffung der Regelanfrage wurden bundesweit ca. 1,4 Millionen Personen überprüft. In der Folge kam es zu einer Vielzahl von Verwaltungsverfahren und gerichtlichen Verfahren wegen Ablehnungen von Bewerbungen, Disziplinarverfahren und Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst, die als „Berufsverboteverfahren“ bekannt wurden.

Formell richtete sich der Radikalenerlass zwar gegen Links- und Rechtsextremisten gleichermaßen, in der Praxis traf er vor allem aber Linke, Mitglieder der DKP und anderer sozialistischer und linker Parteien, Mitglieder von DFU, DFG-VK, VVN/BdA, VDJ bis hin zu Mitgliedern SPD-naher Studentenorganisationen wie den SHB.

Einer der Kritikpunkte am Radikalenerlass war auch die in der Praxis übliche routinemäßige Anfrage der Einstellungsbehörden vor jeder Einstellung in den öffentlichen Dienst bei den Verfassungsschutzbehörden, ob Erkenntnisse vorliegen, die Zweifel an der Eignungsvoraussetzung der Gewähr der Verfassungstreue des Bewerbers begründen können.

Der Radikalenerlass führte zum „Berufsverbot“ für eine Vielzahl von Menschen, die als Lehrerinnen und Lehrer, in der Sozialarbeit, in der Briefzustellung, als Lokführer oder in der Rechtspflege tätig waren oder sich auf solche Berufe vorbereiteten und bewarben. Bis weit in die 80er Jahre vergiftete er das politische Klima. Er führte zu Gesinnungsschnüffeleien, „Duckmäusertum“, Einschüchterungen und bleibt bis heute ein Schandfleck für die politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Rehabilitierung der Betroffenen steht bis heute aus, eine Auseinandersetzung mit der Beschädigung der Demokratie und dem Ansehen der Bundesrepublik im Ausland fand bis heute nicht statt.

Als erstes Bundesland hob das Saarland den Radikalenerlass 1985 förmlich auf. Ende der 80er Jahre zogen dann weitere sozialdemokratisch geführte Landesregierungen die Konsequenz aus dem von Willy Brandt inzwischen selbst eingeräumten „Irrtum“ und schafften die Regelanfrage beim Verfassungsschutz bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst in ihren Ländern ab.

In Bayern wurde 1991 die Regelanfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz eingestellt. Seither findet eine sog. Bedarfsanfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz statt, um Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers für den öffentlichen Dienst auszuräumen (vgl. Ziff. II Nr. 2 Satz 2 Spiegelstrich 1 der Bekanntmachung der Staatsregierung betr. Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst (Verfassungstreue – VerftöD) vom 3. Dezember 1991 (Az.: B III 3-180-6-403), zuletzt geändert durch Bek. vom 27. November 2007 (StAnz. Nr. 50, AIIMBI. S. 693)). Zweifel an der Verfassungstreue können sich bereits daraus ergeben, dass der Bewerber den Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue, in dem er u. a. nach einer Mitgliedschaft in oder Unterstützung von sog. extremistisch oder extremistisch beeinflussten Organisationen gefragt wird, die auf einem ihm zu übergebenden Verzeichnis aufgeführt sind, nicht oder nicht vollständig ausfüllt oder nicht unterschreibt (vgl. Ziff. II Nr. 1 Satz 7 der Bekanntmachung vom 3. Dezember 1991). Außer in Bayern wird ein solcher Fragebogen noch in Thüringen den Bewerbern für den öffentlichen Dienst vorgelegt. Der Bund als Dienstherr und alle anderen Länder verzichten auf eine solche Praxis.

Ich sehe in dem Fragebogen ein Einschüchterungs- und Disziplinierungsmittel und eine Fortsetzung des früheren Radikalenerlasses in Bayern mit anderen Mitteln. Die BayernSPD setzt sich für die Abschaffung des Fragebogens ein. In diesem Jahr hat die BayernSPD-Landtagsfraktion einen erneuten Vorstoß im Landtag unternommen und einen Antrag auf Abschaffung des Fragebogens bzw. der Praxis der Prüfung der Verfassungstreue in Bayern eingebracht. Der Antrag wurde - wie nicht anders erwartet - mit den Stimmen von CSU und FDP und auch der Freien Wähler abgelehnt (vgl. Antrag vom 08.02.2013, 16/15630).

 Frage 1:

Ich sehe überhaupt keinen Grund, Mitgliedern oder aktiven Unterstützern der Partei DIE LINKE den Eintritt in den öffentlichen Dienst des Freistaats und der Kommunen in Bayern als Beamte oder Arbeitnehmer zu verwehren, weil ich keine Anzeichen sehe, dass diese Bewerber nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Die Mitgliedschaft oder die Unterstützung der Partei DIE LINKE begründen keine Zweifel an der Verfassungstreue der Bewerber.

Frage 2:

In Bayern ist mir bekannt, dass die Mitgliedschaft in der Partei DIE LINKE zu einer Nichtaufnahme bzw. zum Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst führt. Hier gab und gibt es Fälle. Aus anderen Bundesländern sind mir keine Fälle bekannt. In Brandenburg dürfte es schon wegen der Beteiligung der Linkspartei an der gegenwärtigen Landesregierung und auch in Berlin wegen der früheren Beteiligung im Senat unwahrscheinlich sein, dass Bewerber, die der Partei DIE LINKE angehören, vom öffentlichen Dienst ferngehalten werden. Das wird in allen neuen Bundesländern ebenfalls der Fall sein.

Mit freundlichen Grüßen

Paul Lehmann