Frage an Patrick Döring von Albrecht H. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Hr. Döring,
ich schreibe Ihnen da sie im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung tätig sind.
In der letzten Zeit haben wir alle unter den Sturköpfen "Mehdorn“ und "Schell“ zu leiden.
Im Moderationsergebnis vom 27.08.07 wurde folgendes festgelegt:
1. Der Arbeitgeber ist bereit, Tarifverhandlungen zu führen. Einerseits mit der GDL mit dem Ziel, bis 30. September 2007 einen eigenständigen Tarifvertrag abzuschließen, der Entgelt und Arbeitszeitregelungen für Lokomotivführer umfasst, andererseits mit der TG, um die Entgeltstruktur im Übrigen neu zu regeln.
2. Die Tarifverhandlungen werden parallel, jedoch in enger Kooperation zwischen TG und GDL geführt, mit dem Ziel, ein konflikt- und widerspruchsfreies Ergebnis zu erhalten.
3. Über die spezifischen Entgelt- und Arbeitszeitregelungen hinaus werden die sonstigen Tarifbedingungen von GDL und TG inhalts- und wortgleich zusammengefasst.
4. Während der Verhandlungen besteht Friedenspflicht.“
Wie wir nun alle wissen, hält sich die Deutsche Bahn AG (die dieses Moderationsergebnis anerkannt und mitunterschrieben hat) nicht an die Vereinbarungen.
Meine Frage ist nun:
Wäre es nicht höchste Eisenbahn, dass hier der Bundesverkehrsminister seinen Angestellten (Hr. Mehdorn) zur Ordnung ruft und ihn dazu zwingt einen Vorschlag vorzulegen, der den Vorgaben des Moderationsergebnisses entspricht?
Sehr geehrter Herr Heer,
vielen Dank für Ihre Frage zum laufenden Arbeitskampf bei der Deutschen Bahn. Es entspricht allerdings einer guten Tradition in Deutschland, dass sich die Politik nicht in Tarifkonflikte zwischen Unternehmen und Gewerkschaften einmischt. Insofern kann ich Ihre Aufforderung, dass Minister Tiefensee dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, Weisung erteilen sollte, nicht unterstützen. Umso schärfer muss ich jedoch jede politische Einmischung der Politik in diese Auseinandersetzung kritisieren. Erstaunlicherweise hat gerade die SPD, die sonst stets die Fahne der Tarifhoheit hoch hält, sich in diesem Streik verschiedentlich sehr einseitig geäußert und die Einstellung des vermeintlich „unverhältnismäßigen“ Streiks gefordert. So hat zum Beispiel Kurt Beck das Recht der GdL auf einen eigenständigen Tarifvertrag in Frage gestellt ( http://www.tagesschau.de/wirtschaft/bahnstreik132.html ).
Dies ist in meinen Augen eine vollkommen unstatthafte Einmischung in den Verhandlungsprozess. Auch in der Sache kann ich die Argumentation nicht nachvollziehen. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat für die FDP ein Gutachten erarbeitet, dass eindeutig aussagt, dass die GdL das Recht zum Streik hat. Dieser könne schon deshalb nicht unverhältnismäßig sein, weil die Lokführer kaum in der Lage sein dürften, den gesamten Verkehr zum Erliegen zu bringen. „Das folgt schon daraus, dass ein Teil der Lokführer aufgrund ihrer Beamtenstellung nicht streiken dürfen und weil nur ein geringer Prozentsatz der Gesamtverkehrsleistung in Deutschland sowohl im Güter- als im Personenverkehr von der Eisenbahn abgedeckt wird.“ Auch das Arbeitsgericht Chemnitz hat diese Auffassung in seinem letzten Urteil bestätigt und einen vollumfänglichen Streik zugelassen.
Auch in der Frage, ob Lokführer und das übrige Fahrpersonal einen eigenständigen Tarifvertrag erhalten soll, hat die GdL zumindest gute Gründe auf ihrer Seite. Es geht dabei nicht darum, ob die Mitglieder der GdL „besser“ sind. Das Fahrpersonal unterliegt jedoch einer spezifischen Belastung aus unregelmäßigen Schichtwechseln, Nachtarbeit, ständigen Ortswechseln und häufigen auswärtigen Übernachtungen. Keine andere Berufsgruppe der Eisenbahner hat vergleichbar schwere Arbeitsbedingungen. Keine andere Berufsgruppe hat vergleichbare Erschwernisse für das familiäre und gesellschaftliche Leben. Daher erscheint die Position der GdL, das Fahrpersonal sei eine eigene Berufsgruppe mit eigenen Arbeitsbedingungen und brauche daher auch einen eigenen Tarifvertrag, jedenfalls nicht abwegig.
Ein weiterer Einwand gegen einen eigenständigen Tarifvertrag für das Fahrpersonal lautet, dies wäre unsolidarisch, weil die schwachen Berufsgruppen die Leidtragenden wären. Sehr überzeugend ist das nicht, denn alle Berufsgruppen der Eisenbahner besitzen genügend Möglichkeiten, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Behauptung, nur die Lokführer hätten „Macht“, ist Unsinn. Auch das Personal in den Stellwerken, den Werkstätten, der Netzinstandhaltung und anderswo könnte mit Streiks die Bahn lahm legen – mindestens so wirkungsvoll wie die Lokführer. Die Eisenbahner mussten seit 1994 fast zehn Prozent Reallohn-Einbuße hinnehmen. In der gleichen Zeit haben Vorstand und Führungskräfte kräftig zugelangt. Transnet und GDBA sahen dabei tatenlos zu. Viele Bahnbeschäftigte scheinen es jetzt so zu sehen, dass das Fahrpersonal und die GdL nur Vorreiter auf dem Weg zu Einkommensverbesserungen für alle Eisenbahner sind. Die GdL konnte in den letzten Wochen jedenfalls zahlreiche neue Mitglieder gewinnen.
Richtig ist wohl, dass es der GdL nicht nur um die Löhne, sondern auch um Macht und Einfluss im Bahnkonzern geht. Das ist aber durchaus verständlich. Es ist an der Zeit, das Machtkartell im Bahnkonzern zu hinterfragen. Die Realität ist, dass sich Vorstand und Transnet-Führung schiedlich-friedlich die Macht im Unternehmen teilen, die GDBA wird als Anhängsel der Transnet geduldet. Mehdorn ist der große Bahnboss, Hansen der große Gewerkschaftsboss. Jeder hilft dem anderen, seine Position abzusichern. Die Transnet besetzt die wichtigen Aufsichtsrats- und Betriebsratsposten. Tarifverhandlungen zwischen Bahn und Transnet gleichen regelmäßig einem inszenierten Theater. Für die Unterstützung Hansens beim Börsengang bedankte sich Mehrdorn in diesem Sommer mit einem passgenauen Tarifabschluss zum Gewerkschaftstag der Transnet.
Insofern ist in meinen Augen die Position der GdL zumindest sehr gut nachvollziehbar. Zwar muss ich der Gewerkschaft den Vorwurf machen, dass sie in diesem Konflikt nicht sehr überzeugend agiert und ihre Kommunikation bisweilen, um es milde auszudrücken, ein wenig chaotisch ist. Das ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen Aussage, dass in meinen Augen die GdL grundsätzlich das Recht und die Möglichkeit hat, ihre Ansprüche durchzusetzen – ob dies aber tatsächlich geschehen wird, dies bleibt allein den Tarifparteien überlassen. Es steht daher sehr zu hoffen, dass die Sturköpfe Mehdorn, Schell und Weselky sich demnächst einigen.
Mit freundlichen Grüßen
Patrick Döring MdB