Frage an Patrick Döring von Andreas B. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Döring,
sie begründen die Ablehnung eines Tempolimits auf Autobahnen damit, das in Deutschland die Zahl der Verkehrstoten – in Relation zur Bevölkerung – deutlich niedriger sei, als in anderen EU-Ländern. Das mag sein, aber ist das ein Grund, die Hände in den Schoß zu legen und auf generelle Maßnahmen zu verzichten? Außerdem behaupten Sie, die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h habe sich bewährt. Wie kann sich etwas bewähren, dass jährlich auf den BAB rund 700 Tote und 33.000 Verletzte zulässt? Das stellt schon ein sehr hohes Maß an Ignoranz dar! Die Zahlen hierzu hat übrigens übrigens die Bundesanstalt für Straßenwesen unter http://www.bast.de/cln_007/nn_39814/DE/Statistik/Unfalldaten/downloads/Strassenverkehrsunfaelle,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Strassenverkehrsunfaelle.pdf veröffentlicht.
Die Zahl von 700 Toten ist umso erschreckender, als bereits um 1970 ähnliche Todeszahlen zu beklagen waren. Trotz aller Baumaßnahmen, regionalen Tempolimits, besserer Ausbildung der Verkehrsteilnehmer und besserer Fahrzeugtechnik (Sicherheitsgurte, Airbags) ist es also in vierzig Jahren nicht gelungen, weniger Todesfälle auf Autobahnen zu erreichen. Es stellt sich daher die Frage, ob Ihre Ausführungen (bzw. die Positionen der FDP) nicht an der Wirklichkeit vorbeigehen und zur Vermeidung weiterer Verkehrsopfer auf BAB eine Überarbeitung Ihrer grundsätzlichen Haltung notwendig wäre?
Mit freundlichem Gruß
Andreas Bergen
Sehr geehrter Herr Bergen,
für Ihre vertiefende Nachfrage möchte ich mich bedanken – in der Sache muss ich Ihnen jedoch widersprechen.
Wie man an den europäischen Statistiken sehen kann, ist die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland deutlich niedriger als in anderen Ländern der EU – obwohl in diesen Ländern ausnahmslos ein Tempolimit besteht. Der von Ihnen angenommene Zusammenhang zwischen Tempolimit und einer Reduzierung der Verkehrstoten besteht daher in dieser Form nicht. Ich halte es da mit dem ehemaligen Generalbundesanwalt und Präsidenten der Akademie für Verkehrswissenschaft, Kay Nehm, der ebenfalls ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen nicht für sinnvoll hält: Verkehrsabhängige örtliche Beschränkungen (wie sie schon an knapp 50 Prozent der Autobahnstrecken bestehen) sind der bessere Weg, weil sie effektiver sind. Es hilft wenig, wenn Autos auch morgens um fünf auf einer leeren Autobahn nicht schneller als 130 fahren dürfen.
Das Problem besteht in Deutschland wie andernorts eher in Tempoüberschreitungen an gefährlichen Stellen. Womöglich ist in dieser Hinsicht das Fehlen eines Tempolimits in Deutschland sogar ein Vorteil, weil Geschwindigkeitsbeschränkungen dann von den Fahrern tatsächlich auch als Vorsichtsmaßnahme verstanden werden und so eher zu einer differenzierten und der Situation angemessenen Fahrweise führen.
Im übrigen ist Ihre Behauptung, dass – ich zitiere – „bereits um 1970 ähnliche Todeszahlen zu beklagen waren“ so nicht haltbar. Das ergibt schon ein Blick in die von Ihnen gewählte Statistik: Bereits in den absoluten Zahlen ist von 1970 bis ins Jahr 2005 ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen (von 945 auf 694, das sind –26,6 Prozent) . Allerdings liegt zwischen diesen Zahlen unter anderem eine Wiedervereinigung – was unter anderem den starken Anstieg der Todesfälle in den Jahren 1990/91 erklärt, als durch die Statistik 16 Mio. Menschen mehr erfasst wurden (deren Unfallrisiko durch unsicheres Fahrzeugmaterial überdies deutlich höher war). Hinzu kommt in diesem Betrachtungszeitraum außerdem auch noch eine ungeheure Zunahme an Fahrzeugen: 1975 waren auf deutschen Autobahnen etwa 17 Mio. Fahrzeuge unterwegs. Heute werden durch die Statistik 54 Mio. Fahrzeuge erfasst. Die Gesamtfahrleistung aller Kraftfahrzeuge in Deutschland hat sich zwischen 1980 und 2005 nahezu verdoppelt (von 367,9 auf 684,3 Mrd. km im Jahr). Tatsächlich ist daher das Risiko auf einer deutschen Autobahn zu Tode zu kommen seit 1970 stark gesunken. Was Sie auch der Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen entnehmen können: Diese weist in der untersten Spalte die Zahl der Todesfälle je einer Milliarde Fahrzeugkilometer aus. Dort können Sie sehen, dass 1970 noch 27 Menschen je eine Milliarde Kilometer zu Tode kamen. Heute sind es hingegen nur noch 3,2. Das tatsächliche Risiko ist also um beinahe 90 Prozent zurückgegangen. Das Risiko auf einer (geschwindigkeitsbeschränkten) Bundesstraße zu Tode zu kommen ist übrigens, wie Sie hier sehen können, viermal so hoch.
Dass in Sachen Straßenverkehrssicherheit auf den Autobahnen in den vergangenen Jahrzehnten nichts passiert sei, ist also tatsächlich eine Mär. Dies ändert natürlich nichts daran, dass wir auch in Zukunft noch mehr tun müssen. Jeder Tote im Straßenverkehr ist einer zuviel. Eine pauschale Tempobeschränkung halte ich jedoch nicht für den richtigen Weg. Meine Beweggründe und einige Vorschläge, was noch zu tun ist, habe ich Ihnen eingangs und auch in meinem vorherigen Schreiben dargelegt. Durch eine Verbesserung der Verkehrsplanung und die Minimierung von Risikosituationen (z.B. durch Reduzierung gefährlicher Baustellen und situationsangepasste Geschwindigkeitsbegrenzungen) lässt sich vielleicht noch ein wenig erreichen. Aber vor allem kommt es nun darauf an – wie es gerade in diesen Tagen auch der Präsident des deutschen Verkehrsgerichtstags, Friedrich Dencker, festgestellt hat – dass bei den Autofahrer ein Umdenken einsetzt und vorsichtiger gefahren wird. Hier gilt es, wie an anderer Stelle bereits gesagt, durch gezielte Maßnahmen (z.B. bei der Führerscheinausbildung) das Risiko- und Verantwortungsbewusstsein zu stärken. Allerdings muss eben auch gesagt sein, dass die Politik keine hundertprozentige Sicherheit garantieren kann. Hinter dem Steuer sitzt schließlich immer der Fahrer.
Mit freundlichen Grüßen
Patrick Döring, MdB