Frage an Patrick Döring von Dieter Georg J. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Döring,
Sie haben als niedersächsischer Bundestagsabgeordneter am 29.06.2012 für den ESM gestimmt.
a) Hatten Sie vor Ihrer Abstimmung Zugang zum genauen Wortlaut des Gesetzesentwurfs des ESM?
b) Wenn ja, bei wem haben Sie vor Ihrer Abstimmung kompetenten juristischen Rat zur Erläuterung und zu den Auswirkungen des ESM eingeholt?
c) Glauben Sie, dass der ESM in seiner jetzigen Fassung mit der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz und dem Urteil des BVerfG vom 07.11.2011 zum ESFS zu vereinbaren ist?
d) Teilen Sie die Ansicht: - Wenn der Euro fällt, fällt auch Europa - ?
d) Bitte begründen Sie kurz, weshalb Sie für den ESM gestimmt haben.
e) Bitte beziffern Sie kurz die z.Zt. bestehenden Verbindlichkeiten Deutschlands bzw. der deutschen Steuerzahler gegenüber Institutionen und anderen Ländern inkl. Bürgschaften und ESM.
f) Wie begründen Sie den Widerspruch der Aussage vieler Ihrer Kolleginnen und Kollegen - Der Euro hat Deutschland nur Vorteile gebracht - zu dem Faktum, dass die Pro-Kopf-Verschuldung in Deutschland seit Bestehen des Euros von 15.000 Euro auf über 25.000 Euro (= plus 67 Prozent) gestiegen ist?
g) Was bedeutet der Begriff - Harmonisierter Preisindex - für Sie - besonders im Zusammenhang mit den durch Medien und Bundesregierung - offiziell - verkündeten Inflationsraten?
h) Ist Ihnen bekannt, dass die Renten in Deutschland in den letzten 10 Jahren durchschnittlich nur um 1,04 Prozent jährlich gestiegen sind u. damit nur die Hälfte der - offiziellen - Inflation ausglichen?
g) Wie bzw. mit welchen Mitteln wollen Sie u. Ihre Partei den Rentnern (nicht Pensionären...) ein würdevolles Leben über dem Existenzminimum bzw. der Armutsgrenze realistisch u. dauerhaft gewährleisten?
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ALLE meine Fragen gewissenhaft, aufrichtig und klar (bitte ohne politische Sprechblasen) beantworteten.
Beste Grüße aus dem Weserbergland
Dieter G. Jürgens
Sehr geehrter Herr Jürgens,
ich danke Ihnen für Ihr Interesse an meiner Position zu der ESM Ratifizierung. Gerne beantworte ich Ihre Anfrage vom 30.06.2012.
Selbstverständlich hatte jeder Abgeordnete Zugang zu dem Gesetzesentwurf. Bitte lassen Sie mich die Brüsseler Beschlüsse erläutern um meine Zustimmung zu erklären.
Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) ist keineswegs als ein Einstieg in die Vergemeinschaftung von Schulden zu interpretieren. Der ESM wird nicht zur Deckung von bestehenden Schulden der Mitgliedstaaten verwendet werden. Er soll lediglich Staaten, die vorübergehend Liquiditätsengpässe haben, vorübergehende und zurückzuzahlende Liquiditätshilfen geben können. Liquiditätshilfen sollen dem hilfebedürftigen Staat als Darlehen gewährt werden. Darüber hinaus soll der ESM auch neue Staatsschuldverschreibungen ankaufen können, was vergleichbar mit der Vergabe von Hilfsdarlehen ist. Beides soll nur möglich sein, wenn der hilfeersuchende Staat zuvor ein wirtschaftspolitisches Anpassungsprogramm aufgelegt hat.
Die Gewährung von Hilfen über den ESM ist überdies an die strikte Einhaltung des Fiskalpaktes gekoppelt. Daher dürfte sich rein faktisch die Inanspruchnahme des Stammkapitals in Grenzen halten. Und außerdem gilt hier: Ohne Solidität keine Solidarität! Die Rückzahlungsansprüche, die der ESM an die von ihm unterstützten Staaten hat, sollen im Rang gleich nach den Rückzahlungsansprüchen des Internationalen Währungsfonds und vor allen anderen Ansprüchen stehen. Aus diesen Gründen soll auch keine Haftungsunion entstehen.
Die FDP wird auch weiterhin alles in ihrer Macht stehende unternehmen, damit es nicht zu einer Vergemeinschaftung von Schulden kommt. Im Gegensatz zur Opposition lehnt die FDP daher Eurobonds mit gesamtschuldnerischer Haftung oder gemeinsam finanzierte oder garantierte Schuldenrückkaufprogramme nach wie vor als untaugliches und gefährliches Mittel zur Bewältigung der Schuldenkrise ab. Es ist keineswegs derjenige der bessere Europäer, der möglichst früh und möglichst viel Geld für gemeinschaftliche Fonds zahlt und eine Vollkaskoversicherung für alle Euro-Staaten fordert. Sondern derjenige, der dafür sorgt, dass die Mitglieder der Währungsunion zu Ihrer Verantwortung auch beim Schuldenmachen stehen. Aus diesen Gründen wird die FDP die Entwicklungen in Brüssel auch weiterhin wachsam begleiten und großen Wert darauf legen, das alle haushaltswirksamen Entscheidungen nur mit Beteiligung des Bundestages getroffen werden können
Die Entscheidungskompetenz über Veränderungen des genehmigten Stammkapitals und eine etwaige Anpassung des maximalen Darlehnsvolumens für den ESM liegt bei dem Gouverneursrat. Es handelt sich dabei nicht um ein unabhängiges Gremium, welches autonome Entscheidungen über europäische Steuergelder treffen kann. Der Gouverneursrat besteht vielmehr aus den Finanzministern des Euro-Währungsgebiets, die gewählte Regierungen der Eurostaaten repräsentieren. Alle wesentlichen Entscheidungen, einschließlich der Gewährung von Finanzhilfen oder Änderungen am gezeichneten Kapital, werden grundsätzlich einstimmig durch die Finanzminister des Euro-Währungsgebiets getroffen – Deutschland hat jederzeit ein Vetorecht.
Dem Deutschen Bundestag soll dieses Vetorecht faktisch übertragen werden, indem wir dem Abstimmungsverhalten des deutschen Vertreters im Gouverneursrat einen Parlamentsvorbehalt vorschalten, wie wir es bereits bei der Europäischen Finanzstabilisierungsfazillität (EFSF) auf Druck der FDP getan haben. Auf diese Weise muss sich der deutsche Vertreter im Gouverneursrat des ESM zunächst die Zustimmung des Bundestages einholen, bevor er einer etwaigen Ausweitung zustimmen kann. Sollte der Bundestag diese Zustimmung verweigern, muss der deutsche Vertreter mit Nein stimmen und kann damit eine Ausweitung von Hilfen im Rahmen des ESM effektiv verhindern.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Ausführungen weiterhelfen. Im Falle weiterer Fragen können Sie sich gerne wieder an mich wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Patrick Döring, MdB