Frage an Patrick Döring von Anja N. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Döring,
in ihrem Wahlkreis gibt es das Bestreben von Kommunalpolitikern, den Ausbau des Stichkanals Linden und den Neubau der Schleuse Limmer für das ´übergroße Großmotorgüterschiff´ in Hannover politisch zu forcieren. Der Ausbau hat weder auf Bundes- noch auf Landesniveau eine wirtschaftlich erwähnenswerte Bedeutung und er steht auch nachweislich in keinem Zusammenhang mit einer Verbesserung der Hinterlandanbindung der Seehäfen.
Die geringe wirtschaftliche Priorität und den fehlenden Zusammenhang mit der Hinterlandanbindung bescheinigen z.B. auch Herr Rösler, FDP (s. Landtagssitzung 27.03.2009), Dr. Nägele im Auftrag von Herrn Hübner, SPD (MDB, stellvertretender Fraktions-Vorsitzender des SPD Bundestagsfraktion, Schreiben v. 06.04.2009). Vertreter der Grünen auf Bundesebene stehen dem Vorhaben kritisch gegenüber (z.B. Peter Hettlich, MDB) und von den Linken aus Stadt und Land wird das Vorhaben abgelehnt.
Das Vorhaben wird nach konservativer Schätzung mindestens 220 Mio EUR kosten und ist mit erheblichen Eingriffen in eng bebautes Gebiet (Gebäude z.T. unter Denkmalschutz), umfangreichen Natur- und Erholungsverlusten und dem Abriss und Neubau von 10 Brücken und deren Zuwegen verbunden. Von den ca. 80 Betrieben des unter anderem durch den Stichkanal angebundenen Gewerbegebiets in Hannover Linden nutzen nur noch 4-5 Betriebe für Teile ihrer Transporte die Kanalanlieferung mit ständig sinkender Tendenz.
Selbst die vom Nutznießer des Ausbaus (‚Städtische Häfen) in Auftrag gegebene Nutzen-Kosten Analyse kommt nur zu dem beschämend niedrigen Nutzen-Kosten-Koeffizienten von 1,07.
- Wie stehen sie angesichts solcher Zahlen und Fakten zu dem Ausbauvorhaben ?
- Können sie sich vorstellen, im Rahmen ihrer politischen Tätigkeit die Bürger ihres Wahlkreises in ihrem Widerstand gegen dieses Vorhaben zu unterstützen?
Anja Niezel
Sehr geehrte Frau Niezel,
vielen Dank für ihre Anfrage vom 27. August.
In der Sache komme ich allerdings zu einer anderen Bewertung des Vorhabens als Sie – und auch die Landesregierung unterstützt, um den von Ihnen fälschlich erweckten Eindruck zu korrigieren, den Ausbau des Stichkanals Linden. Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll der von Ihnen erwähnten Sitzung des Niedersächsischen Landtags vom 27. März 2009: „Ein Votum zu Gunsten des Ausbaus wird seitens der Landesregierung begrüßt, sofern die übrigen für Niedersachsen wichtigen Ausbauprojekte [i.e. die Stichkanäle Hildesheim, Salzgitter und Osnabrück] dadurch nicht benachteiligt werden.“
Der Ausbau des Stichkanals Linden ist in den nächsten Jahren unbedingt notwendig, damit Hannover weiterhin von den ökologischen und ökonomischen Vorteilen der Binnenschifffahrt profitieren kann. Durch den Ausbau des Mittellandkanals für die so genannten Großmotorgüterschiff (110 m x 11,40 m x 2,80 m) und zweigliedrigen Schubverbände (185 m x 11,40 m x 2,80 m) wird die Wettbewerbsfähigkeit der Binnenschifffahrt gegenüber der Straße wesentlich gestärkt. Die Ausbaumaßnahmen waren dringend erforderlich, denn die Transportleistung der deutschen Binnenflotte ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen (von 31,4 Mrd. Tonnenkilometer im Jahr 1991 auf 28 Mrd. im Jahr 2005) und auch der Umschlag in den Binnenhäfen ist rückläufig. Die Ursache dafür ist vor allem in dem mangelhaften Ausbau der entsprechenden Infrastruktur und der zu geringen Verknüpfung mit den übrigen Verkehrsträgern zu suchen (mehr dazu in meiner Antwort auf abgeordnetenwatch.de vom 18. Oktober 2007).
Der Ausbau des Mittellandkanals ermöglicht nun den Einsatz größerer Schiffe und damit eine drastische Senkung der Kosten je transportierter Tonne auf dem Wasserweg. Umgekehrt bedeutet dies allerdings, dass der Einsatz kleinerer Schiffe in Zukunft kaum noch rentabel sein wird – und damit Häfen, die für Großmotorgüterschiffe nicht erreichbar sind, kaum noch angefahren werden. Ein Verzicht auf den Ausbau des Stichkanals Linden würden damit mittelfristig bedeuten, dass der Hafen de facto vom Schiffsverkehr abgeschnitten würde. Die dort ansässigen Unternehmen würden entweder dazu gezwungen, aus Hannover fortzuziehen – das bedeutet den Verlust von bis zu 2.000 Arbeitsplätzen – oder den Transport vom Wasser auf die Straße zu verlegen. Bei einem Umschlag von über 400.000 Tonnen im Lindener Hafen (Stand 2008) wären dies bis zu 16.000 Lastkraftwagen, die jedes Jahr zusätzlich über die B6 oder die B 441 den Lindener Hafen anfahren würden. Damit wären nicht nur immense Kosten für die dort ansässigen Unternehmen sondern vor allem auch zusätzliche Belastungen für die Umwelt verbunden.
Die Landeshauptstadt Hannover hat in den vergangenen Jahren viel Mühe darauf verwendet, den Lindener Hafen auszubauen und weiter zu entwickeln, gerade um Vorteile der Wasserstraße zu nutzen und die Voraussetzungen für eine ökologische und ökonomische Optimierung der logistischen Abläufe zu schaffen. Dadurch konnte der Umschlag seit 2002 nahezu verdoppelt werden. Wobei nach Schätzung der Stadt Hannover das Wachstumspotential bereits in den letzten Jahren wegen des mangelhaften Anschlusses an den Mittellandkanal bei weitem nicht ausgenutzt werden konnte. Dieser Erfolg der letzten Jahre würde jedoch vollständig zunichte gemacht, wenn jetzt auf den Ausbau des Kanals verzichtet werden sollte.
Ich halte aus diesen Gründen den baldigen Ausbau des Stichkanals Hannover-Linden, ebenso wie den Ausbau der Stichkanäle Hildesheim, Salzgitter und Osnabrück, für zwingend erforderlich. Wer den Verzicht auf einen Ausbau verlangt, schwächt nicht nur den Wirtschaftsstandort Hannover, sondern trägt insbesondere dazu bei, dass Verkehre in großem Stil vom Wasser auf die Straße verlegt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Patrick Döring MdB