Frage an Özcan Mutlu von Wolfgang K.
Sehr geehrter Herr Mutlu.
in einer Studie der Privaten Hochschule ESTM in Berlin wird festgestellt, dass von den 215,9 Milliarden Euro, mit denen Griechenland im Rahmen der ersten beiden Rettungsprogramme von den europäischen Partnern und dem Internationalen Währungsfonds unterstützt wurde, nur 9,7 Milliarden Euro und damit weniger als fünf Prozent direkt an Griechenlands Staatshaushalt gingen.
Aus der veröffentlichten Analyse geht hervor, dass mit 139,2 Milliarden Euro (das sind ca. 64 Prozent der Gesamtsumme) Schulden zurückgezahlt und Zinsen beglichen wurden. Die direkten Kapitalhilfen für Banken beliefen sich auf 37,3 Milliarden Euro oder 17 Prozent. Knapp 30 Milliarden Euro wurden als Anreiz für Investoren genutzt, damit die sich an dem Forderungsverzicht von 2012 beteiligten.
( http://static.esmt.org/publications/whitepapers/WP-16-02.pdf )
Unabhängig davon, wie Ihr Abstimmverhalten zur Regierungserklärung am 27.02.2012 in dieser Frage war, bitte ich Sie eindringlich zu erklären:
1. warum diese Riesensumme zur "Rettung" der Banken verwendet wurde
2. was Sie tun werden, diesen Mißbrauch von Steuermitteln aufzuklären und die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft zu ziehen, falls das in irgendeiner Weise beabsichtigt ist.
Ich verweise auf die Veröffentlichungen der Bundesregierung unter
https://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/Artikel/2012/02/2012-02-27-merkel-griechenland.html
Ihrer freundlichen zeitnahen Antwort sehe ich gern entgegen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Kliemand
Sehr geehrter Herr Kliemand,
bitte entschuldigen Sie meine späte Antwort, leider haben wir die Anfrage übersehen.
Mit dem letzten Hilfsprogramm werden im Memorandum of Unterstanding (MoU) wichtige Strukturreformen vereinbart, die für mehr Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung sorgen können. Gleichwohl hat das MoU eine Schlagseite und viele zu kritisierende Bestandteile.
Ich muss Ihnen leider bestätigen, dass viele Milliarden Euro der ersten Rettungsprogramme nicht direkt an Griechenlands Staatshaushalt gingen. Jedoch war ganzheitlich betrachtet, eine Verteilung des Kapitals aus den Hilfsprogrammen notwendig, wozu auch gehörte, dass eine große Summe zur „Rettung“ der Banken verwendet wurde. Die Stabilisierung des Finanzsektors und die Rekapitalisierung der Banken waren angesichts der akuten Kreditklemme für griechische Unternehmen und Startups dringend erforderlich. Wir Grünen fordern im Zuge dessen jedoch eine weitmögliche Schonung der öffentlichen Mittel und möglichst umfassende Beteiligung der Gläubiger und verbleibenden privaten Eigentümer („bail-in“), ohne allerdings die Einlagen heranzuziehen.
Uns Grünen fehlt im bisherigen Hilfsprogramm auch ein Investitionsprogramm im Sinne eines Green New Deal und notwendige Schuldenerleichterungen für Griechenland. Der IWF weist schon seit längerem darauf hin, dass ohne eine Umstrukturierung der Schulden die Schuldentragfähigkeit nicht gewährleistet ist. Die erforderliche Umschuldung wird nun ein Stück weit dadurch sichergestellt, da die ESM-Mittel der griechischen Regierung auch die Erfüllung ihrer Kreditverpflichtungen gegenüber EZB und IWF erlauben. Allerdings bleibt weiterhin offen, ob und wann Zinsen und Tilgung der ESM-Kredite abgesenkt bzw. gestundet werden und Griechenland damit die nötige Luft zum Atmen erhält. Dies führe zu einer zeitweiligen Entlastung fälliger Rück- und Zinszahlungen, und einem Anstieg des Nominalbetrags der Schulden nur um die Summe der gestundeten Zinsen.
Wir sind der Meinung, dass der Reformprozess und die wirtschaftliche Erholung in Griechenland so weit unterstützt werden müssen, dass Griechenland seine Schulden auf Basis einer wachsenden Wirtschaft zurückzahlen kann. Die Verpflichtung zu Primärüberschüssen darf nicht durch quasi-automatische Ausgabenkürzungen erwirkt werden, sondern muss stattdessen vom Erreichen des dafür erforderlichen Wachstums der griechischen Wirtschaft abhängig gemacht werden. Es droht ansonsten die Fortsetzung der Abwärtsspirale aus Kürzungen, Schrumpfung der Wirtschaft, verfehlten Einnahmezielen und weiteren Kürzungen. Griechenland muss seine Reformdividende im Land für Investitionen und die Umsetzung für Reformen nutzen, statt den Primärüberschuss an die Gläubiger zu überweisen.
Mit besten Grüßen
Özcan Mutlu