S.g. Frau Nick, warum ist ein Gesetz wie "la Loi Garot" in Frankreich (gegen Lebensmittelverschwendung) noch nicht erlassen worden?Woran ist es bisher gescheitert? Ist ein Gesetz geplant?
Seit drei Jahren dürfen in Frankreich Supermärkte Lebensmittel nicht mehr einfach wegwerfen. Darunter ist eine Anordnung, die es den großen Einzelhändlern und Supermärkten verbietet, nicht verkaufte Lebensmittel unbrauchbar zu machen. Die Bilanz: Die Tafeln erhalten deutlich mehr Essen.
Frankreich ist das erste Land weltweit, das die Lebensmittelverschwendung offiziell unter Strafe gestellt hat. Pro Vergehen droht eine Geldstrafe von 3750 Euro.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte.
Mir ist es wichtig, Lösungen zur Reduktion der Lebensmittelverschwendung zu finden. Gerade auch mit Blick auf die aktuelle Situation – Folgen des Ukraine-Kriegs, Dürren und die Klimakrise.
Lösungen sollten da gefunden werden, wo Lebensmittel tatsächlich verschwendet werden.
Vor diesem Hintergrund wird die Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung weiterentwickelt:
In den vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Dialogforen pro Sektor – für die Primärproduktion, die Verarbeitung, den Groß- und Einzelhandel, die Außer-Haus-Verpflegung und die privaten Haushalte – wird an zielgerichteten Lösungen für die einzelnen Branchen und Zielgruppen gearbeitet. Diese werden in verbindlichen Zielvereinbarungen mit verpflichtenden Maßnahmen festgeschrieben, die vom BMEL mit den Wirtschaftsbeteiligten abgeschlossen werden. In erster Linie muss es dabei um die Vermeidung gehen: Wir erwarten, dass die Wirtschaftsbeteiligten Lebensmittelüberschüsse oder -abfälle gar nicht erst entstehen lassen. Die erste Zielvereinbarung wurde im April 2021 für die Außer-Haus-Verpflegung unterzeichnet. Die Zielvereinbarungen für die Primärproduktion, die Verarbeitung und den Handel sollen in diesem Jahr abgeschlossen werden.
Solange nicht vermeidbare Lebensmittelüberschüsse anfallen, ist das Spenden genießbarer Lebensmittel an Bedürftige ein Mittel, diese sinnvoll zu verwenden. Um das Spenden von Lebensmitteln zu erleichtern, prüft das BMEL – auch in Abstimmung mit den anderen Ressorts-, welche rechtlichen Änderungen z. B. im Haftungs- oder Steuerrecht erforderlich und zielführend sind.
Um der gesellschaftlichen bzw. sozialethischen Bewertung Rechnung zu tragen, hat Bundesminister Özdemir den Bundesjustizminister gebeten, beim sog. Containern auf eine Vereinheitlichung der Strafverfolgungspraxis hinzuwirken, dass eine Einstellung des Verfahrens der Grundsatz ist und in der Regel ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung verneint wird. Dazu sind wir weiterhin mit dem BMJ im Gespräch.
In der öffentlichen Diskussion wird vielfach die Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung zur Lebensmittelspende nach dem Vorbild anderer europäischer Länder gefordert. In anderen Ländern – so auch in Frankreich – gilt aber de facto nur eine Pflicht, überschüssige Lebensmittel einer karitativen Einrichtung anzubieten (deren Ablehnung z. B. aus Kapazitätsgründen möglich ist); dazu ist der Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung nachzuweisen. Ferner dürfen Lebensmittel in Frankreich nicht zielgerichtet ungenießbar gemacht werden, um dadurch die Weitergabe zu umgehen.
In Deutschland ist das Spendenaufkommen aus Handel und Produktion bereits heute sehr umfangreich - auch gegenüber Ländern, in denen die gesetzliche Angebots-Verpflichtung besteht: Allein an die Tafeln werden jährlich rund 265.000 t/Jahr Lebensmittel gespendet (die durch 60.000 Ehrenamtliche an 1,65 Mio. Tafelkunden verteilt werden). In Frankreich, dessen Spendenregime in der Öffentlichkeit stets als positives Beispiel hervorgehoben wird, sind es dagegen nur 115.000 t/Jahr (verteilt an 2 Mio. Bedürftige).
Diese gute Praxis der Weitergabe von Lebensmitteln in Deutschland soll weiter ausgebaut werden – selbst wenn die Vermeidung von Abfällen bzw. Überschüssen auch gegenüber der Spende grundsätzlich Priorität haben muss: In der Zielvereinbarung, die derzeit gemeinsam mit dem Handel erarbeitet wird, sollen entsprechende Maßnahmen bzw. Verpflichtungen vorgesehen werden.
Zudem sollen die Organisationen, die gespendete Lebensmittel an Bedürftige weitergeben, stärker unterstützt werden. Entsprechende Fördermöglichkeiten werden geprüft.
Gut die Hälfte der in Deutschland anfallenden Lebensmittelabfälle entstehen in den privaten Haushalten (ca. 75 kg pro Person pro Jahr; darunter zu viel Gekochtes, Schalen von Gemüse und Obst, sowie Knochen). Das Dialogforum private Haushalte und Zu gut für die Tonne! sind deshalb wichtige Instrumente bei der Reduzierung von Lebensmittelabfällen bei Verbraucherinnen und Verbrauchern. Ziel ist es, über bisherige Aktivitäten zur Sensibilisierung hinauszugehen und die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung in privaten Haushalten einfacher und selbstverständlich zu machen, die Höhe der Lebensmittelabfälle in privaten Haushalten drastisch zu reduzieren und die Etablierung nachhaltiger Ernährungspraktiken zu fördern.
Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen
Ophelia Nick