Frage an Omid Nouripour von Norbert N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Nouripour ,
wie kann es aus Ihrer Sicht korrekt sein, dass dem Erwerbstätigen die Fahrt zur Arbeit als, so wörtlich "Privatvergnügen" ausgelegt wird und somit die Pendlerpauschale vom ersten Kilometer an verweigert wird ?
Manche Pendler verbringen täglich bis zu vier Stunden mit dem Weg von und zu ihrer Arbeitsstätte. Sie opfern nicht nur ihre Zeit, sondern sollen auch noch weiterhin einen erheblichen Teil der Kosten selber tragen.
Ist Ihnen klar, dass arbeitende Menschen, die für so etwas noch mehr zur Kasse gebeten werden, weniger Geld in der Tasche haben, um z.B. Öko-Produkte zu kaufen uvm ?
Auch aus diesem Grund wird sich leider immer öfter für die Aldi-Variante, anstatt für die oft etwas teurere Öko-Variante entschieden, besonders bei Lebensmitteln uvm.
Wie verbinden Sie Ihr Abstimmungsverhalten, in dem Sie gegen die Rückkehr zur alten Pendlerpauschale gestimmt haben, mit Ihren politischen Grundzielen, Sozial und Umwelt ?
Ich erbitte von Ihnen, uns Ihre Begründung darzulegen.
Vielen Dank + beste Grüße
Norbert Neumann
Sehr geehrter Herr Neumann,
vielen Dank für Ihre Frage vom 09.12.2008 und bitte verzeihen Sie die späte Antwort. Es ist unbestreitbar, dass die Anforderungen der modernen Arbeitswelt eine immer höhere Mobilität und Flexibilität der Bürgerinnen und Bürger einfordern. Andererseits ist es aber dringend nötig, Subventionen und staatliche Vergünstigungen abzubauen und eine ökologische Steuerungsfunktion wahrzunehmen.
Insoweit halten wir es grundsätzlich für richtig, dass auch und gerade bei der Entfernungspauschale Abstriche vorgenommen werden. Die Entfernungspauschale fördert Zersiedelung und Flächenverbrauch, sie gibt Anreize für immer längere Pendeldistanzen. Dies führt zu höheren Belastungen für unsere Verkehrssysteme und damit die Umwelt.
Grundsätzlich stellt sich auch die Frage, ob die Wahl des Wohnortes und damit der Pendeldistanz zum Arbeitsort nicht in erster Linie eine private Entscheidung ist und daher außerhalb staatlicher Steuerungsmechanismen liegen sollte. Das teurere, aber verkehrsgünstige Wohnen innerhalb der Stadt wird ja auch nicht steuerlich gefördert. Wir begrüßen daher im Prinzip die Kürzung der Entfernungspauschale. Die Streichung nur für Entfernungen bis 20 km halten wir allerdings für falsch. Ähnliches hatte unter Rot-Grün bereits der damalige Bundesfinanzminister Eichel vorgeschlagen, was wir Grüne seinerzeit verhindern konnten. Es ist problematisch und ungerecht, ausgerechnet weite Entfernungen besonders zu begünstigen. Damit werden gerade diejenigen benachteiligt, die nahe an ihrem Arbeitsplatz wohnen und damit die Verkehrssysteme und unsere Umwelt weniger belasten.
Wir haben stets für eine einheitliche Entfernungspauschale auf niedrigerem Niveau plädiert, die für jeden Verkehrsträger und jeden zurückgelegten Kilometer gleich hoch wäre. Diese Lösung wäre einfach und praktikabel. Zwischen den Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bestand in der vergangenen Wahlperiode Einigkeit darüber, die Entfernungspauschale auf einheitlich 15 Cent pro Kilometer zu senken. Wir halten eine solche lineare Kürzung fiskalisch und ökologisch für vernünftig und werden uns weiterhin dafür einsetzen.
Die Streichung der ersten 20 km in der Pendlerpauschale war ein steuerpolitischer Sündenfall von CDU/CSU und SPD. Die Ungleichbehandlung von kurzen und weiten Wegen zum Arbeitsplatz kann nicht verfassungsgemäß sein. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seiner Entscheidung (Az. VI B 42/07) vom 6. September 2007 verfassungsrechtliche Bedenken an der derzeitigen Ausgestaltung der Pendlerpauschale veröffentlicht. Es sei ernstlich zweifelhaft, ob die Kürzung der Pendlerpauschale in dieser Art verfassungsgemäß ist, teilte der Bundesfinanzhof mit. Damit bestätigte der BFH eine Entscheidung des niedersächsischen Finanzgerichts, das ein Finanzamt zur Eintragung des vollen Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte eines Klägers verpflichtet hatte.
Rund 11 Mio. Bürgerinnen und Bürger sind von der verfehlten Kürzung der Pendlerpauschale betroffen. Sie brauchen jetzt Rechtssicherheit durch eine verfassungskonforme gesetzliche Regelung, wie ihre Fahrkosten zur Arbeit ab dem ersten Kilometer steuerlich anerkannt werden. Angesichts der offenkundigen Verfassungswidrigkeit der Streichung der ersten 20 Entfernungskilometer kann es nicht sein, dass der Bundesfinanzminister Steinbrück das Problem auf dem Rücken der Steuerpflichtigen aussitzt und weiter auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wartet. Denn dem Bundesverfassungsgericht liegt die Pendlerpauschale zwar bereits zur Prüfung vor, eine Entscheidung wird allerdings noch weiter auf sich warten lassen.
Die Entfernungspauschale muss deshalb nach unserer Auffassung noch in diesem Jahr verfassungskonform und aufkommensneutral neu geregelt werden. Sie soll ab dem ersten Entfernungskilometer einheitlich 15 Cent pro Entfernungskilometer betragen und damit für jeden Verkehrsträger und für jeden zurückgelegten Kilometer gleich hoch sein. Wir werden uns in jedem Fall weiter dafür einsetzen!
Ich hoffe Ihnen mit dieser Antwort weitergeholfen zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Omid Nouripour