Frage an Omid Nouripour von Jörn-Derek G. bezüglich Recht
Abwägung der Corona-Maßnahmen
Guten Tag Herr Nouripour,
mit den zu erwartenden ansteigenden Erkrankungszahlen (oder definierten Fälle) im Herbst werden nun von der Bundesregierung und von den Ministerpräsidenten wieder eine Vielzahl einschneidender Maßnahmen ausgerufen, die das soziale und wirtschaftliche Leben fast aller Bürger massiv betreffen werden.
Aussagen von Fachleuten lassen erwarten, dass das Beendigen der „Epidemischen Lage nationaler Tragweite“ wohl gut und gerne erst 2022 erfolgen wird; vor allem hier im Zusammenhang mit dem voraussichtlichen Abschluß der angestrebten Impfmaßnahmen.
Meine grundsätzliche Frage an Sie ist nun:
In wieweit habe Sie (oder ihre Fraktion) die Alternativlosigkeit dieser Maßnahmen und, falls klar erkennbar, der zugrundeliegenden Strategie, überprüft ?
Ich möchte mich bei der Beschreibung eines Alternativmodels an der Great Barrington Declaration orientieren: Risikogruppen-Schutz (bei deren Wunsch), die tatsächliche Belastungsgrenze des Gesundheitssystems als akzeptable Grenze für angemessene Verbotsmaßnahmen, normale Hygienemaßnahmen für alle. Risikogruppen waren schon seit Ende Januar definierbar und die frühe Heinsberg-Studie hält in wichtigen Punkten bis jetzt.
Also konkret:
Wie haben Sie sich ein Bild gemacht, ob die anfangs durchgeführten und nun, in anderer Reihenfolge, wiederholten Maßnahmen angemessen waren/sind; vor allem unter Beachtung der Vorgaben des Grundgesetzes und des Rechtsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit ?
Gern würde ich erfahren,
• welche Anfragen Sie (oder ihre Fraktion) hierzu an die Bundes/Landesregierung gestellt haben,
• welche Antworten es hierzu gab, und
• welche Studien Sie (oder ihre Fraktion) ggf. selbst beauftragt haben, falls die Bundes/Landesregierung nicht oder nicht ausreichend geantwortet hat
Das Parlament als Vertretung des Souveräns war schon seit Monaten in der Pflicht, hier zu hinterfragen und ggf. zu handeln.
Mit freundlichen Grüßen,
Jörn-Derek Gehringer
Sehr geehrter Herr G.,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Es mag sein, dass es Menschen gibt, die behaupten, dass die durch den Bundestag erklärte "epidemische Lage von nationaler Tragweite" bis "wohl gut und gerne 2022" laufen werde. Allerdings haben diese Personen versäumt, einen Blick in das Infektionsschutzgesetz zu werfen. Dort ist bestimmt, dass die Lage Ende März 2021 ausläuft, so der Bundestag sie nicht selbst wieder verlängern wird.
Die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" schafft keine Grundlage für die durch die Bundesländer vereinbarten Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen etc., sondern bietet der Bundesregierung Handhabe etwa Rechtsverordnungen zu erlassen, die die Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitswesens zu ermöglichen.
Zahlreiche wissenschaftliche Studie bei vorherigen epidemischen Ereignissen (z.B. SARS, H1N1) sowie während der jetzigen SARS-CoV2-Pandemie zeigen, dass so genannte nicht-pharmazeutische Interventionen, dazu gehören insbesondere Kontakteinschränkungen im öffentlichen Raum, das Infektionsgeschehen deutlich verlangsamen können. Auf diese Weise kann die Gesundheit und das Leben vieler besonders gefährdeter Menschen geschützt werden. Eine aktuelle Untersuchung aus dem Lancet finden Sie beispielsweise hier:
https://www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(20)30785-4/fulltext
Zugleich müssen auch weitere wissenschaftliche Erkenntnisse in die Entscheidungsfindung des Bundesregierung und des Bundestages einfließen. Hierzu schlagen wir schon seit einiger Zeit einen interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen Pandemierat vor. Ihm sollen Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachrichtungen angehören: insbesondere der Medizin, Gesundheitswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften und Rechtswissenschaft. Ziel ist es, die gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie und ihrer Bekämpfung soweit wie möglich zu reduzieren.
Mit freundlichen Grüßen
Omid Nouripour