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Omid Nouripour
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Frage von Jürgen R. •

Frage an Omid Nouripour von Jürgen R. bezüglich Europapolitik und Europäische Union

Sehr geehrter Herr Nouripour!
Mit großer Sorge verfolge ich die Pläne zu einer weiteren Militarisierung der Europäischen Union. Im nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen ist nach aktuellem Stand wesentlich mehr Geld für Verteidigung, Rüstungsforschung und die Entwicklung neuer Waffensysteme vorgesehen. Die sehr viel geringeren Mittel für zivile Prävention und Menschenrechtsförderung sollen hingegen auch noch gekürzt werden.
»Europäische Friedensfazilität« ist der irreführende Name eines geplanten Budgets, mit dem die EU-Staaten Militäreinsätze sowie die militärische Ausbildung und Aufrüstung von Streitkräften außerhalb der EU finanzieren wollen – zum Beispiel in der Sahelzone oder im Nahen Osten.
Für 2021 bis 2027 sind dafür 10,5 Milliarden Euro vorgesehen. Da Artikel 41(2) des EU-Vertrages es verbietet, militärische Zwecke aus dem EU-Haushalt zu finanzieren, soll die »Europäische Friedensfazilität« am Haushalt und am EU-Parlament vorbei als zusätzlicher Fonds von den Mitgliedsstaaten finanziert werden. Daher ist sie auch kein Teil der Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU, sondern wird derzeit von den Mitgliedsstaaten zusätzlich ausgehandelt.
Viele Gründe sprechen gegen die Ausbildung und Aufrüstung von Streitkräften in Drittstaaten. So warnte das deutsche Friedensgutachten 2018 vor erheblichen Risiken: Die Programme könnten zu noch mehr Gewalt führen, statt sie einzudämmen. In Teilen der geplanten Einsatzregionen sind zudem staatliche Menschenrechtsverletzungen und Gewalt gegen friedliche Demonstrationen nachgewiesen – etwa im Irak oder in Mali. Der Europäische Rechnungshof stellte im Jahr 2018 fest, dass die bisherigen sogenannten »Ertüchtigungsprogramme« in Mali und Niger keine nachhaltigen Ergebnisse gezeigt hätten.
1. Werden Sie die Einrichtung einer sogenannten »Europäischen Friedensfazilität« zur Finanzierung von Militäreinsätzen sowie der Ausbildung und Aufrüstung von Streitkräften in Drittstaaten ablehnen?
Werden Sie in dem Fall, dass Deutschland der »Europäischen Friedensfazilität« zustimmt ...
2 ... sich dafür einsetzen, dass die Finanzierung und Lieferung von Waffen, Munition und anderer Kampfausrüstung durch die »Friedensfazilität« explizit ausgeschlossen werden?
3 ... sich dafür einsetzen, dass die Finanzierung und Lieferung von Kleinen und Leichten Waffen sowie der zugehörigen Munition durch die »Friedensfazilität« explizit ausgeschlossen werden?
4 ... darauf bestehen, dass die Nutzung der »Friedensfazilität« nicht den Prinzipien des Gemeinsamen Standpunktes der EU zur Kontrolle von Rüstungsexporten widersprechen darf?
5 ... sich für eine effektive parlamentarische Überwachung der Maßnahmen im Rahmen der »Friedensfazilität« einsetzen?
6 ... sich für eine effektive Vor-Ort-Kontrolle des Endverbleibs aller im Rahmen der »Friedensfazilität« gelieferten Rüstungsgüter und eine konsequente Ahndung von Verstößen einsetzen?
Ich finde: Statt unter dem Vorwand der Friedensförderung neue militärische Programme zu entwickeln, sollte die Europäische Union die bewährten Programme der zivilen Konfliktbearbeitung ausbauen.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Reichel-Odié

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Reichel-Odié,

vielen Dank für Ihre Anfrage zur „Europäischen Friedensfazilität“. Es ist gut, zu sehen, dass sich Bürgerinnen und Bürger für die Entwicklungen auf europäischer Ebene interessieren.

An den Verhandlungen zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen nehmen die EU-Mitgliedstaaten allerdings in Gestalt ihrer jeweiligen nationalen Regierungen teil. Als Oppositionspartei können wir diese Entwicklung nur kritisch begleiten.

Für unsere Partei steht fest, dass wir zivile Instrumente der Krisen- und Konfliktbewältigung immer vorranging betrachten und diese ausbauen wollen. Dazu gibt es derzeit weder national noch auf europäischer Ebene unter den dort vertretenen Regierungen einen überzeugenden Willen. Die Einverleibung des „Instruments für Frieden und Stabilität“ – das bisher eine eigenständige Budgetlinie im EU-Haushalt war – in ein allgemeines außenpolitisches Finanzierungsinstrument betrachten wir mit Sorge. Die Grüne Fraktion im Europaparlament versucht, bei den anstehenden Initiativen im Europaparlament diese Bedenken zum Ausdruck zu bringen.

Die Einrichtung einer „Europäischen Friedensfazilität“ schafft hingegen insofern Klarheit, als dass hier alle bestehenden verteidigungspolitischen Ausgaben zusammengefasst werden und außerhalb des EU-Budgets liegen. Völlig irreführend an diesem neuen Fonds ist hingegen der Name. Ausgerechnet die Bündelung aller militärischen Ausgaben als „Friedensfazilität“ zu bezeichnen, leitet in die Irre. Diese Namenswahl kritisieren wir auch.

Der einzige Vorteil dieses außerbudgetären Fonds ist lediglich, dass Projekte, wie etwa die Ausbildung ausländischer Streitkräfte in Zukunft nicht mehr aus dem zivilen EU-Haushalt bezahlt werden, sondern von den Mitgliedstaaten aufgebracht werden müssen. Das trägt zur besseren Übersichtlichkeit bei und verhindert, dass derartige Ausgaben im Rahmen von z.B. Entwicklungsprojekten finanziert werden. Dessen ungeachtet bleibt unsere Kritik an dieser Art von militärischer Unterstützung bestehen. Wir Grüne fordern in unseren parlamentarischen Initiativen, die Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung besser zu nutzen. Eine Sicherheitssektorreform in einem Partnerland kann nie nur die Ausbildung von Sicherheitskräften umfassen, sondern muss breiter angelegt sein und Elemente der Partizipation, demokratischen Kontrolle und Achtung der Menschenrechte umfassen. Besonders heikel wird es, wenn ausländische Streitkräfte mit Waffen und anderen Rüstungsgütern ausgestattet werden. Hier braucht es für die zukünftige „Friedensfazilität“ klare Regeln.

Den Export von Rüstungsgütern in Drittstaaten sehen wir grundsätzlich kritisch. Seit Jahren fordern wir ein Rüstungsexportkontrollgesetz, um strenge und klare Hürden für einen Export zu haben. Es kann nicht sein, dass über die „Friedenfazilität“ die EU zum Rüstungsexporteur wird. Mit dem EU-Gemeinsame Standpunkt hat die Europäische Union bereits Kriterien für den restriktiven Export, dessen Einhaltung wir stets anmahnen. Zu einer restriktiven Rüstungsexportpolitik gehören für uns immer auch glaubhafte Endverbleibskontrollen.

All dies ist derzeit Gegenstand von Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und dem Europaparlament. Die Grünen im EP setzen sich dafür ein, dass die zukünftige „Friedensfazilität“ nicht zu einer Aufrüstung fragiler Drittstaaten führt. Auch ist sie bemüht, weitestgehende parlamentarische Kontrolle über diesen Fonds zu erhalten, auch wenn dieser außerhalb des EU-Budgets liegt.

Mit freundlichen Grüßen

Omid Nouripour MdB

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