Frage an Oliver Keymis von Viktor G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Keymis,
das von Ihnen ebenfalls zitierte Gutachten von Prof. Dr. Kirchhof ist
im Auftrag der ARD, des ZDF und D Radio erstellt worden, um den eigenen Erhalt halbwegs plausibel erscheinen zu lassen. Alleine aus diesem Grund kann es nicht Objektiv sein.
In der Begründung wird dem Leser das angebliche Angewiesensein und die Begünstigung genau durch den ö.-r. Rundfunk, nicht aber durch die freie Presse und das Internet reingeredet. Die verquaste Argumentation könnte ebenso für die Eintreibung von Zwangsgebühren zu Gunsten von Blogbetreibern und Erstellern von Internetseiten herhalten, deren Beiträge allen zugute kommen. Immerhin zeugen die vielfältigen Angebote der Blogs von direkter Demokratie, von einfachen Möglichkeiten der Meinungsäußerung und -verbreitung sowie von der Mitbeteiligung der Bürger in Diskussionsprozessen.
Auf den Unterlagen auf deren die Ministerpräsidenten die Entscheidung zu dem neuen Gebührenmodell getroffen haben, wurde gewarnt, dass bei der Beibehaltung des bisherigen Gebührenmodells Einnahmenrückgänge ins Haus stehen.
Im Vordergrund des Denkens steht immer die Sorge um die Finanzierung der ö. Rundfunkanstalten.
Machen Sie sich denn keine Sorgen um die Menschen in unserem Land?
Durch die Zwangsfinanzierung der ÖRR fehlen den Bürgern die Geldmittel für Bücher, Zeitungen, Internetanbindung, Theater, Bildung. Dadurch werden die Bürger in ihrem Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, behindert. (2157 EUR in 10 Jahren für ÖRR Radio + TV)
Haben Sie keine Bedenken, dass die antifreiheitliche Ausrichtung des neuen Staatsvertrages die Entscheidungsfreiheit der Bürger noch mehr beschneidet? Sehen Sie nicht wohin uns das führt?
Für die Beantwortung der konkreten 3 Fragen wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Schöne Grüße
Viktor Grund
Sehr geehrter Herr Grund,
vielen Dank für Ihre erneute Anfrage über "abgeordnetenwatch.de" vom 6.12.2011.
Zu Ihren drei Fragen antworte ich Ihnen wie folgt:
1. Sehr wohl mache auch ich mir Sorgen um die Menschen in unserem Land. Allerdings denke ich, dass wir uns alle noch viel mehr Sorgen machen müssten, wenn wir nicht mehr eine so umfangreiche, vielfältige und qualitätsvolle Medienlandschaft in Deutschland hätten, was aber ganz sicher ohne die Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Fall wäre. Insofern kommen wir mit unseren offenbar sehr unterschiedlichen Einschätzungen hier leider nicht zusammen.
2. Es gibt keine "Zwangsfinanzierung". Der öffentlich-rechtliche Rundfunk genießt Verfassungsrang. Seine Organisation und Finanzierung sind nach Recht und Gesetz geregelt. Diese Gesetze wurden und werden bisher mit demokratisch legitimierten Mehrheiten im Rahmen unserer repräsentativen Demokratie beschlossen. Es ist nicht überzeugend, zu behaupten, dass wegen der Rundfunkgebühr, von der aus sozialen Gründen allein in NRW rund 10 % der Rundfunkteilnehmer befreit sind, die Teilhabe an, wie Sie es anführen, "Bücher, Zeitungen, Internetanbindung, Theater, Bildung" erschwert oder sogar unmöglich würde. Diese Behauptung halte ich für falsch. Tatsächlich trägt gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu den von Ihnen genannten Bereichen erheblich bei und gehört zu den Fundamenten unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates. Hierzu hat auch das Bundesverfassungsgericht in diversen Urteilen entsprechend Stellung bezogen.
3. Ihre Bedenken, dass die Reform der Rundfunkgebühren in Deutschland die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger "noch mehr beschneidet", wie Sie es formulieren, kann ich nicht nachvollziehen. Für mich bedeutet es im Gegenteil eine enorme Freiheit, aus der Vielfalt der medialen Angebote auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auswählen zu können, über was ich mich in welcher Weise informieren, unterhalten oder bilden möchte. Dass wir alle gemeinsam ab 2013 Rundfunkgebühren pro Haushalt (und eben nicht mehr pro Gerät) zahlen, führt zu mehr Gerechtigkeit, nicht zu weniger. Dazu schreibt Dr. jur. Hans Peter Bull, Univ.-Prof. (em.) für Öffentliches Recht Bundesbeauftragter für den Datenschutz a.D.: "Der Gleichheitssatz verlangt für das Abgabenrecht, dass der Abgabepflichtige nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gleich belastet wird. Diese Belastungsgleichheit fordert also eine gleichheitsgerechte Gesetzgebung und ebenso eine gleichheitsgerechte Durchsetzung des gesetzlich Angeordneten". Diese Feststellung entspricht der Rechtsprechung des BVerfG, das in Aufsehen erregenden Urteilen deutlich gemacht hat, welche große Bedeutung die Gleichbehandlung gerade bei der Rechtsdurchsetzung hat. Das materielle Steuerrecht müsse "in ein normatives Umfeld eingebettet sein [...], welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleistet".
Ich hoffe, ich konnte Ihre drei Fragen beantworten und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Keymis MdL