Frage an Oliver Kaczmarek von Dr. Hinrich R. bezüglich Soziale Sicherung
BETREFF: Petition Grundeinkommen, Ihre Antwort vom 27. Oktober auf meine Fragen vom 16. Oktober.
Sehr geehrter Herr Kaczmarek,
Danke für Ihre ausführliche Antwort. Nun weiss ich: Sie stehen für Vollbeschäftigung.
(Notfalls so, dass alle ein bisschen beschäftigt sind.)
Sie schreiben: "Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde nach meiner Einschätzung NICHT EINES der sozialstaatlichen Probleme lösen." Bisher meinte ich, dass das bedingungslose Grundeinkommen fast alle der sozialen Absicherungs-Probleme löst (nach reiflicher Überlegung und intensiver Diskussion mit anderen).
Es scheint also, dass ich dazu von Ihnen etwas Nachhilfe brauche.
1) Ist "Sozialstaat" etwas anderes als ein System zur sozialen Absicherung?
2) Welches sind die wichtigsten sozialstaatlichen Probleme?
3) Würde z.B. das Problem Kinderarmut durch ein Grundeinkommen NICHT gelöst?
(oder gehört es einfach per Definition nicht zu den "Sozialstaatlichen Problemen"?
(Eine Empfehlung zum Schluss: Sie könnten Herrn W. H. wohl besser antworten, wenn Sie nun doch den von mir empfohlenen Film anschauen, den Sie ja inzwischen auf DVD in Ihrem Besitz haben.)
Mit freundlichem Gruss
H. Ruyter
Sehr geehrter Herr Ruyter,
das Thema bzw. die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist mir aus verschiedenen Debatten und Zuschriften schon lange vertraut.
Die einzelnen Modelle für ein bedingungsloses Grundeinkommen sind auf unterschiedliche Begründungszusammenhänge aufgebaut. Alle Modelle haben jedoch die gemeinsame Annahme zur Grundlage, dass es in unserer Gesellschaft nicht mehr genügend Arbeit gibt, sodass die soziale Grundsicherung neu ausgerichtet werden muss. Wesentliches Element der meisten Ansätze ist die Bedingungslosigkeit der Grundleistung.
Auch die Grundwertekommission der SPD hat sich mit den vielen Argumenten, die in der Diskussion um das Für und Wider eines Bedingungslosen Grundeinkommens genannt werden, intensiv auseinandergesetzt. Als SPD stehen wir den bisher diskutierten Modellen skeptisch gegenüber, da für uns Arbeit die Grundlage von Wohlstand und sozialer Sicherheit bleibt.
Ich gehe von der Zentralität der Erwerbsarbeit aus, das heißt mein Ziel ist es, dass jeder Mensch von der Arbeit, die er leistet, leben kann und fair entlohnt wird. Jeder Mensch braucht einen Platz in der Arbeitsgesellschaft. Deshalb halte ich am Ziel der Vollbeschäftigung fest. Dazu müssen wir die vorhandene Arbeit besser einbeziehen, zum Beispiel in Form eines öffentlichen Beschäftigungssektors in Verbindung mit einem gesetzlichen Mindestlohn.
Ich gehe auch von einem anderen Sozialstaatsmodell aus, als es in vielen Modellen zum Grundeinkommen beschrieben wird. Der deutsche Sozialstaat basiert auf dem Solidaritätsgrundsatz, das heißt Menschen treten für Menschen ein. Die Gesunden für die Kranken, die Jungen für die Alten usw. Er ist auf Integration und nicht auf Alimentation ausgelegt. Ziel der Sozialdemokratie ist es, den Sozialstaat zielgenau zu verbessern, dass er jedem Menschen eine schnellstmögliche Integration nach seinen Neigungen und Fähigkeiten zu ermöglichen.
Die Zusammenfassung aller sozialen Leistungen zu einem Grundeinkommen führt dazu, dass der Sozialstaat ungenauer und ungerechter wird. Unterschiedliche Instrumente sollen aber immer auch unterschiedliche Lebenslagen abbilden und darauf eingehen.
Auch die Orientierung auf die Konsumsteuer als alleinige Einnahmequelle ist im höchsten Maße ungerecht, da die unter-schiedlichen Einkommens- und Vermögenssituationen keine Berücksichtigung finden. Anders ausgedrückt: Vermögen und Vermögende werden geschont.
Aus diesen Gründen sind meine Vorstellungen von einem Sozialstaat und einer Arbeitsgesellschaft nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen vereinbar.
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Kaczmarek