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Olav Gutting
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Frage von Andreas H. •

Frage an Olav Gutting von Andreas H. bezüglich Innere Sicherheit

„Es kann doch nicht sein, dass eine Minderheit von Menschen in unserem Land einer Mehrheit von Menschen Angst macht.“ So lautet ein Zitat unserer Bundeskanzlerin, das man diese Tage überall liest.
Mich, ich bin 17 und werde bald 18 Jahre alt, würde interessieren, was Sie als Abgeordneter meines Kreises von einer solchen Äußerung halten und wie sie meinen, dass sie zu verstehen ist.
Ich persönlich fühle mich von dieser Aussage der Bundeskanzlerin beleidigt.
Angst und Schrecken verbreiten die Jugendlichen, also jene Enkel, derer es bisher zu wenige gab, die jetzt aber wohl zur Bedrohung der öffentlichen Sicherheit werden.
Wenn Jugendliche jetzt also Angst und Schrecken verbreiten, klingt das nicht so, als wären sie gerne gesehen. Muss man da das Jugendstrafrecht verschärfen? Ich denke, das wäre eine einfache, bequeme und feige Symptombekämpfung. Zumal wir nicht von Krawallen tausender Jugendlichen reden wie in Frankreich, sondern von Einzelstraftaten, die zufälligerweise durch die Medien gingen und bei denen nun eben Jugendliche einen Rentner überfallen. Wird eine Minderheit und seien es die eigenen Kinder und Enkel so schnell zur Angstquelle für die Mehrheit der Menschen?
Wenn es doch bisher auch so funktionierte, nun aber nicht mehr, dann heißt das entweder, dass die heutigen Jugendlichen stärker zu Gewalt und Verbrechen neigen als früher. Dann stellt sich jedoch die Frage: „Wieso?“.
Oder es heißt, dass sich die Wahrnehmung ändert und Straftaten und Vergehen Jugendlicher größeres Aufsehen erregen.
Oder geht es gar nicht um deutsche Jugendliche, sondern um deutsche Jugendliche, deren Eltern Deutsche mit Migrationshintergrund sind und die man jetzt abschieben möchte?
Außerdem stellt sich mir die Frage, wie schnell der Fremdenhass in Deutschland zunimmt.
Solche Parolen wie die oben Zitierte sollte sich eine Volkspartei nicht leisten, denn Fremdenhass und Kinderunfreundlichkeit stellen in unserem Land inzwischen ernsthafte Probleme dar.

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Heid,

mit Dank bestätige ich den Eingang Ihrer Mail vom 5. dieses Monats.

Die von Ihnen zitierte Äußerung der Bundeskanzlerin ist m.E. völlig unmißverständlich. Sie ist wortwörtlich zu nehmen. Unverständlich ist mir allerdings, wie bei Ihnen der Eindruck entstehen konnte, sich durch die Äußerung der Bundeskanzlerin beleidigt zu fühlen, da die Äußerung doch gar nicht an Sie adressiert war.

Das Thema, das durch die jüngsten Vorfälle in der Münchener U-Bahn und anderen Städten in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist, ist alles andere als neu.

Wir haben es uns seit Jahren angewöhnt, solchen Übergriffen, zumal dann, wenn es sich bei den Tätern um ausländische Jugendliche oder Jugendliche mit Migrationshintergrund handelt, keine allzu große öffentliche Aufmerksamkeit zu schenken. Die dahinter stehenden Überlegungen sind bekannt.

Vor allem in der Zeit der rotgrünen Koalition wollte man vom Traum einer multikulturellen Gesellschaft nicht lassen. Daher wurde besonderer Wert darauf gelegt, über alle Ereignisse, die eine solche Entwicklung hätten stören können, nur sehr neutral und ohne die Nennung der besonderen Tatumstände zu berichten.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Amtspersonen zitieren, die auf Grund ihrer Tätigkeit besonders eingehende Kenntnisse von den Zuständen im Bereich der Jugendkriminalität haben:

So hat vor wenigen Tagen der Berliner Innensenator Körting (SPD) in einem Interview gesagt, mitverantwortlich für die Gewalt-Misere bei Migranten seien zu lasche Richter. Diesen "Allesverstehern und -verleihern" gehe es nur um die Psyche des Täters, die Psyche des Opfers sei etlichen Richtern egal. Einen weiteren Beweis für die teils schon dramatischen Zustände lieferten die Äußerungen des Berliner Oberstaatsanwaltes Roman Reusch: "Nachdem mittlerweile Täter mit Migrationshintergrund bzw. Ausländer den Löwenanteil der sogenannten gewöhnlichen Kriminalität stellen, bedarf es daher speziell auf diesen Personenkreis abgestimmter Maßnahmen."

"Selbst kurzzeitige Freiheitsentziehungen wie vorläufige Festnahmen und Arreste gehen scheinbar an den straffällig gewordenen Jugendlichen spurlos vorbei. Nicht einmal der Erlass von Haftbefehlen mit sofortiger Haftverschonung oder die drohende Verurteilung zu einer Jugendstrafe mit Bewährung respektive Vorbewährung kann die übergroße Mehrheit von ihnen von weiterer Begehung schwerer Straftaten abhalten." "Es gibt nur eine einzige Maßnahme, die sie wirklich beeindrucken könnte, nämlich die Haft."

Ich will es bei diesen Zitaten bewenden lassen, obwohl die anderen Passagen seiner Berichterstattung ebenfalls sehr aufschlussreich sind, weil sie die gegenwärtigen Zustände in erschreckender Weise beleuchten und deutlich machen.

Bei Herrn Reusch handelt es sich um einen Mann der Praxis, er wird ständig bei seinen eigenen Ermittlungen und denen seiner Mitarbeiter just mit diesen Problemen konfrontiert. Er weiß, wovon er redet. Wohlgemerkt: er spricht von einer Situation in einer Großstadtmetropole (Berlin).

Wie nun die Situation im Bereich der Jugendkriminalität rundum zu beurteilen ist, lässt sich schwer sagen.

Die Kriminalstatistik dokumentiert lediglich die Arbeit der Polizei, gibt aber keinen endgültigen Aufschluss über die Kriminalität an sich. Experten unterscheiden zwischen dem "Hellfeld" der Kriminalität, das aktenkundig wird und in der Statistik auftaucht, und dem "Dunkelfeld".

Fast allen Fällen, die die Polizei bearbeitet, geht eine Anzeige voraus. Untersuchungen haben ergeben, dass bei Eigentums- und Vermögensdelikten nur zehn Prozent aller Taten auf dem Schreibtisch der Polizei landen. Es muss daher wohl offen bleiben, ob die Statistik die tatsächliche Entwicklung der Kriminalität widerspiegelt - oder nur, wie sich Hell- und Dunkelfeld verschieben. Unter Fachleuten wird seit Jahren kontrovers diskutiert, wie die Zahlen der Polizei zu bewerten sind.

Lediglich in jedem zweiten Fall, der in einer Kriminalstatistik auftaucht, wird tatsächlich ein Tatverdächtiger ermittelt. Nur ein Drittel aller Tatverdächtigen wird später von einem Gericht verurteilt. Man darf wohl davon ausgehen, dass derzeit bei zwei Dritteln aller jugendlichen Straftäter das Verfahren eingestellt wird.

Als noch praktizierender Rechtsanwalt kenne ich mich natürlich auch ein wenig in der Materie aus. Ich bin kein Anhänger der Theorie der Strafverschärfung. Ich glaube, dass es mehr denn je darauf ankommt, die anhängigen Strafverfahren zu beschleunigen und den in Frage kommenden Strafrahmen schuldangemessen soweit wie möglich auszuschöpfen.

Und wer wollte leugnen, dass wir auch Schul-, Erziehungs-, Bildungs- und Integrationsdefizite zu beklagen haben. Bei diesen präventiven Maßnahmen muss nachgebessert werden. Allerdings gilt es auch festzuhalten, dass Schule, Bildung, Erziehung und Integrationsmaßnahmen nur als Angebot bereitgehalten werden können. Man kann nichts davon obrigkeitlich verordnen. Und Fakt ist, dass viele ausländische Jugendliche und deren Eltern solche Angebote ablehnen und bewusst nicht wahrnehmen.

Solche Menschen kann man weder mit Geduld noch mit guten Worten von den Vorteilen dieser Maßnahmen überzeugen. Das heißt natürlich auf der anderen Seite auch, dass man es sich zu leicht macht, wenn man die beklagenswerten Zustände als ausschließliche Folge gesellschaftspolitischer Fehlentwicklungen zu interpretieren versucht.

Sie nehmen in Ihrer Mail u.a. auf die deutsche Situation bei der Jugendkriminalität Bezug und stellen dabei den Vergleich mit den von Zeit zu Zeit aufbrechenden Jugendrevolten in Frankreich her. Diese Vorgänge sind nicht vergleichbar.

Ihrer Darstellung von den sog. Einzelfällen, die dann und wann medienmäßig in Deutschland zufällig Erwähnung finden, richtig zu stellen, darf ich die kriminalstatistischen Zahlen von 2006 gegenüberstellen: Die Zahl der Tatverdächtigen betrug 2.283.127, davon waren 639.758 strafunmündige Kinder (bis unter 14), Jugendliche (von 14 bis unter 18) und Heranwachsende (von 19 bis unter 21).

Die Probleme der Jugendkriminalität lassen sich nicht nur in abgeschiedenen Zirkeln und Gremien behandeln.Sie gehören auch in den Focus der Öffentlichkeit. Allerdings bin ich wie Sie der Meinung, dass diese Themen verantwortungsvoll diskutiert werden sollten, d.h. es kommt in besonderem Maße darauf an, die Dinge objektiv zu behandeln, um nicht unnötig zusätzliche Ausländerfeindlichkeit zu schüren.

Die Antwort auf Ihre Eingabe ist länger ausgefallen als beabsichtigt, obwohl noch viele Fakten und Konsequenzen überhaupt nicht angesprochen wurden. Daran lässt sich unschwer erkennen, dass die Probleme vielschichtig sind, was u.a. auch dazu führt, dass sie in der Öffentlichkeit, in der Wissenschaft und bei den Praktikern vor Ort nicht selten unterschiedlich beurteilt werden.
Dennoch werden die aktuellen Diskussionen - sobald sich die momentane öffentliche Aufgeregtheit gelegt hat - zu konkreten und angemessenen Maßnahmen führen. Ein Meinungsaustausch aller Beteiligten aus Politik, Polizei, Jugendbehörden und Jugendverbänden, Pädagogen und Jugendbetreuern dürfte dabei hilfreich sein.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen ein wenig gedient zu haben, und verbleibe

mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

(Jochen Hilliges, wiss. Mitarbeiter)

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