Frage an Olav Gutting von Bernhard K. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Gutting,
das Bundeskabinett hat heute (Di, 1.12.2015) entschieden, sich am Kampfeinsatz gegen den IS in Syrien zu beteiligen; morgen wird sich der Bundestag in erster Lesung mit dem Thema befassen, eine Beschlussfassung ist für Freitag geplant. Aus diesem Anlass bitte ich Sie um die Beantwortung der nachstehenden Fragen:
1. Wie beurteilen Sie die geplante Mission angesichts der Tatsache, dass es keine UNO-Resolution gibt, die diesen Einsatz legitimiert, sowie angesichts der Tatsache, dass die Bundeswehr laut Grundgesetz ausdrücklich eine Verteidigungsarmee ist?
2. Glauben Sie, dass der geplante Einsatz höhere Aussicht auf Erfolg hat als derjenige in Afghanistan (wo nach mehr als zehnjährigem Engagement nicht nur der Bundeswehr die Lage schlimmer ist als vorher)? Wenn ja, aufgrund welcher Erwägungen kommen Sie zu dieser Ansicht?
3. Was ist die deutsche Exit-Strategie? Da eigentlich allen klar sein sollte, dass der Krieg in Syrien nicht aus der Luft gewonnen werden kann, stellt sich diese Frage umso drängender.
4. Wie stehen Sie zu der von Russland vorgeschlagenen Verfahrensweise, Präsident Assad für eine Übergangszeit im Amt zu belassen, bis in Syrien freie Wahlen durchgeführt werden können? Bei der Beantwortung dieser Frage bitte ich Sie besonders an die Beispiele Irak und Libyen zu denken.
Vielen Dank für Ihre Antworten.
Bernhard Köhler
Sehr geehrter Herr Köhler,
mit Dank bestätige ich den Eingang Ihrer über das Portal „Abgeordnetenwatch“ gestellten Fragen zum Thema „Syrieneinsatz der Bundeswehr“ vom 1.12.2015.
Ich darf darauf wie folgt antworten:
Zu 1.)
Rechtsgrundlage im vorliegenden Fall des Syrieneinsatzes ist Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen (Recht auf kollektive Selbstverteidigung).
Für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts ist es nicht erforderlich, dass stets eine ausdrückliche Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII der VN-Charta vorliegt. Ansonsten wäre die Bestimmung des Artikels 51 der VN-Charta überflüssig. Das Selbstverteidigungsrecht besteht vielmehr so lange, bis es dem Sicherheitsrat gelingt, mittels einer Kapitel-VII-Resolution die internationale Sicherheit wiederherzustellen. Dies ist bislang nicht erfolgt.
Verstärkende Legitimationswirkung für die Ausübung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts entfaltet die Sicherheitsratsresolution 2249. Sie ist zwar keine Resolution nach Kapitel VII der VN-Charta. Sie stellt aber mit den Formulierungen des Kapitel VII fest, dass der IS eine Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit ist. Daher ruft der Sicherheitsrat die Staaten dazu auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um weitere Terrorakte des IS zu verhindern.
Ergänzend stützt sich der Einsatz auf die EU-Beistandsklausel nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages. Auf dem Treffen des Rates der EU-Verteidigungs-minister in Brüssel am 17. November 2015 haben alle Mitgliedstaaten einhellig den französischen Antrag nach Artikel 42 Absatz 7 EU-Vertrag unterstützt und ihren Beistand zugesichert. Damit hat sich Ihre Zusatzfrage, dass die Bundeswehr als Verteidigungsarmee eben auch nur im Verteidigungsfall einsetzbar ist, erledigt.
Zu 2.)
Unser Ziel ist die Verhütung und Unterbindung terroristischer Anschläge. Zugleich müssen wir erreichen, dass der IS keine Gräueltaten mehr an der Zivilbevölkerung begehen kann. Die Menschen müssen in der Region endlich wieder in Frieden leben können.
Die Bekämpfung des IS erfolgt nach dem Ansatz der Vernetzten Sicherheit. Das umfasst diplomatische, entwicklungspolitische, polizeiliche und notfalls auch militärische Mittel. Diese Aufzählung macht schon deutlich, dass es keine einfache Aufgabe sein wird, die gesteckten Zielvorgaben zu erreichen. Hinzu kommt: der Konflikt in Syrien ist hochkompliziert und die Interessen der Beteiligten sind extrem unterschiedlich: der Westen will den "Islamischen Staat" bekämpfen, die Türken einen kurdischen Staat im irakisch-syrischen Grenzgebiet verhindern, die Russen wollen Assad stützen, das sunnitische Saudi-Arabien den Aufstieg des schiitischen Irans bremsen.
Auch erfahrene ranghohe Militärs der NATO sind sich über die Strategie, mit der gegen den Terror der IS-Milizen langfristig mit Erfolg vorgegangen werden soll, nicht einig.
Aber ich halte es für einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass Russland sich mit Frankreich zum Zwecke der Bekämpfung des IS-Terrors verbündet hat. Dennoch: auf eines ist gewiss nicht zu hoffen, dass es nämlich zu einem schnellen durchgreifenden Erfolg der gegen den IS gerichteten Militärallianz kommen wird.
Zu 3.)
Richtig, der Krieg gegen den IS ist ausschließlich mit Lufteinsätzen nicht zu gewinnen, in dieser Beurteilung sind sich die Militärs und auch Politiker unisono einig.
Die entscheidende Säule, um erfolgreich gegen den IS vorzugehen, ist, das es zu einer Verständigung unter den Beteiligten kommt, die derzeit am Verhandlungs-tisch in Wien um eine politische Strategie ringen. Wenn es gelingt, eine Verständigung zwischen der verhandlungsbereiten Opposition und dem Regime in Syrien erreichen, gibt es die Chance für ein gemeinsames Vorgehen gegen den IS im Land. Erstmals sitzen dazu die USA, Russland, die Europäer aber auch regionale Akteure wie Saudi-Arabien und Iran an einem Tisch, um einen Waffenstillstand und einen politischen Übergangsprozess in Syrien auszuhandeln.
Das Mandat für den Bundeswehr-Einsatz ist auf 12 Monate befristet. Vor einer Verlängerung werden wir den Einsatz sorgfältig evaluieren und – wo nötig – nachsteuern.
Zu 4.)
Es ist kein Geheimnis, dass die Staaten, die sich nun zum Kampf gegen den IS zusammengeschlossen haben, bei weitem noch nicht an ein und demselben Strang ziehen. Vor dem Hintergrund militärischer Aktionen gegen den IS müssen die Verbündeten immer auch die laufenden politischen Verhandlungen in Wien im Auge zu behalten.
Aus unserer Sicht wird es eine Zusammenarbeit mit Assad nicht geben, auch nicht mit Truppen unter der Führung Assads. Wir setzen auf den diplomatischen Verhandlungsprozess in Wien, der einen politischen Übergang in Syrien weg von Assad einleiten soll.
Eines steht allerdings auch eindeutig fest: Wir müssen die Staatlichkeit Syriens erhalten, denn im Falle eines Staatszerfalls droht neue Gewalt. Deshalb gilt es, nach einem Waffenstillstand und nach freien und fairen Wahlen den Soldaten in der syrischen Armee eine Perspektive zu bieten und sie in den Wiederaufbau Syriens einzubinden.
Ohne diese Perspektive würden sich viele dieser Soldaten voraussichtlich dem IS anschließen. Diese bittere Erfahrung aus dem Irakkrieg gilt es zu vermeiden.
Das heißt, dass man sich am Verhandlungstisch in Wien auch über eine Gesamtstrategie klar werden muss, wie man nach einem Erfolg über den IS in Syrien, aber nicht nur dort, weiter verfahren will. Eines möchte ich zum Abschluss noch einmal klarstellen: Jeder, der glaubt, der Konflikt könne sozusagen im Schnellverfahren gelöst werden, befindet sich auf dem Holzweg.
Mit freundlichen Grüßen
Olav Gutting