Frage an Özcan Mutlu von Oliver H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag, Herr Mutlu!
Ein Grundpfeiler der Demokratie ist das Recht, sich auf frei gewählte Art und Weise zu informieren. Dem gegenüber steht ein Geflecht aus Medienkonzernen, welche von jedem Wohnenden zwangsfinanziert werden.
Obgleich immer wieder die angebliche Unabhängigkeit der "öffentlich-rechtlichen" Sendeanstalten behauptet wird, sind es doch maßgeblich Politiker und Interessenverbände, welche diese lenken. Beispielsweise enthält die Zusammensetzung des Fernsehrates des ZDF https://www.zdf.de/zdfunternehmen/zdf-fernsehrat-mitglieder-entsendende-organisationen-100.html "nur noch" ganze 20 Politiker, nachdem mit einiger Verspätung den Bundesverfassungsgerichtsurteilen 1 BvF 1/11 und 1 BvF 4/11 nachgekommen wurde.
Die "Beitrag" genannte Abgabe wird von Fachleuten als steuerartig eingestuft und ist nicht allein deswegen juristisch sehr umstritten. Für die Eintreibung der Gebühr wurden Datenabgleiche mit den Einwohnermeldeämtern veranlasst, deren Umfang beispiellos ist und datenschutzrechtlich extrem bedenklich. Die Frage, ob die "Öffentlich-Rechtlichen" nun Staatssender sind oder nicht, wird stets danach beantwortet, wie es diesen Sendern gerade in den Kram passt.
Wie Sie sehen, gehört das Thema daher in viele Bereiche und ist von grundliegender Bedeutung. Daher meine Frage, welche konkreten Ideen und Maßnahmen Sie zur Reform oder Abschaffung dieses auf verschiedensten Ebenen unhaltbaren Rundfunksystems haben oder planen.
Mit freundlichen Grüßen
O. H. H., Kiezredakteur
Sehr geehrter Herr H.,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Die Grüne Bundestagsfraktion unterstützt das Konzept des Rundfunkbeitrags, der eine Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Programms und allem, was damit verbunden ist, durch die gesamte Gesellschaft vorsieht. Denn die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks basiert auf einem Solidarmodell, zu dem alle finanziell beitragen – unabhängig davon, ob und wie sie das Angebot persönlich nutzen. Durch diese solidarische Finanzierung ist es möglich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine von der Verfassung vorgesehene Aufgabe für die Gesellschaft erfüllen kann, nämlich zur freien Meinungsbildung beizutragen, die gesellschaftliche Debatte zu fördern und grundlegende demokratische Strukturen zu stärken. Dazu gehört etwa auch, Sendungen oder Filme für Minderheiteninteressen zu produzieren, die die sonst aus Kostengründen nicht realisierbar wären.
Jedoch spiegeln die Rundfunk- und Fernsehräte sowie die Landesmedienanstalten oft nicht die gesellschaftliche, religiöse, kulturelle und weltanschauliche Pluralität Deutschlands wider. Das wollen wir ändern. Wir brauchen einen glaubhaften und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dafür wollen wir seinen Auftrag stärken und ihn vor Einflussnahme aus Politik und Lobbyverbänden schützen. Deshalb muss er ohne staatliche oder kommerzielle Einflussnahme arbeiten können. Das geht nur, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch weiterhin über Beiträge der Allgemeinheit finanziert wird und frei von wirtschaftlichen Interessen bleibt. Daher setzen wir GRÜNE uns dafür ein, dass er in Zukunft möglichst ohne Werbung auskommt. Dafür können unsere Bürger*innen auch erwarten, dass sie die von ihnen finanzierten Inhalte dauerhaft im Netz abrufen können und die Kreativen dafür angemessen vergütet werden.
Wir sehen an diversen Stellen Reformbedarf:
* bei der Staatsferne: Auf grüne Initiative, die den Einfluss der Staatsvertreter in den Gremien immer kritisiert haben, kam es 2014 zum wegweisenden Urteil des BVerfG zum ZDF-Staatsvertrag, das nun klare Vorgaben macht: Nur noch höchstens ein Drittel der Gremienplätze darf mit staatsnahen Vertretern besetzt sein. Leider ist diese Anforderung noch nicht in allen Rundfunkstaatsverträgen der Länder umgesetzt worden. Die Gesellschaft soll in den Gremien abgebildet werden in ihrer Vielfalt - damit auch zur Hälfte mit weiblichen Vertretern. Zudem sollen kleinere gesellschaftliche und politische Gruppen vertreten sein, was in den neuen Verträgen unserer Ansicht nach nicht ausreichend umgesetzt wurde.
* beim Telemedienauftrag: Aus Rücksicht auf die Interessen der Zeitungsverleger darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Netz vieles nicht machen. Zum Beispiel keine „nichtsendungsbezogenen presseähnlichen“ Angebote. Auch muss er die meisten seiner Inhalte nach sieben Tagen wieder aus dem Netz entfernen. All dies ist unzeitgemäß. Unsere BürgerInnen können erwarten, dass sie die von ihnen finanzierten Inhalte dauerhaft im Netz abrufen können.
* beim Auftrag und der Beitragshöhe: Ab 2021 wird der Haushaltsbeitrag voraussichtlich wieder steigen, es sei denn, die Ministerpräsidenten einigen sich darauf, den Auftrag so umzuformulieren, dass das Programm billiger wird. Eine Arbeitsgruppe „Strukturoptimierung“ arbeitet jetzt fieberhaft daran, Sparpotenziale zu identifizieren. Das ist aus unserer Sicht - und im Übrigen auch aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts - der falsche Weg: Am Anfang muss eine gesellschaftliche Debatte darüber stehen, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk im 21. Jahrhundert leisten soll, wie also sein Auftrag in einer digitalen Welt aussehen soll. Wenn dieser Auftrag beschrieben ist, muss die unabhängige Kommission KEF den Finanzbedarf ermitteln und die Höhe des Beitrags festlegen. Denn die hohen journalistischen Standards, die Unterhaltung eines Korrespondentennetzes etc. müssen finanziell angemessen ausgestattet sein. Unabhängig davon setzen wir uns nach wie vor für eine Ausweitung der Härtefallregelungen ein, auf-grund derer man sich vom Haushaltsbeitrag befreien lassen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Özcan Mutlu