Frage an Özcan Mutlu von Thilo B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Besteht die Gefahr, dass durch das Freihandelsabkommen TTIP der gesetzgeberische Spielraum der Deutschen Bundestagsabgeordneten in irgendeiner Weise eingeschränkt wird? Wenn ja, können Sie mir bitte ein Beispiel oder Beispiele nennen?
Sehr geehrter Herr Bode,
vielen Dank für Ihre Frage.
Bei TTIP geht es um weit mehr als nur darum, den Handel durch den Abbau von Zöllen zu erleichtern. Geplant ist darüber hinaus eine Reihe von Vorhaben zum Abbau sogenannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse. Hier geht es um technische Normsetzung, aber auch um gesetzliche Regulierungsvorschriften. Die Vereinheitlichung von Steckdosen ist dabei ein harmloses, wenn auch sinnvolles Beispiel. Entscheidend ist aber, dass auch etablierte Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz unter die Räder kommen könnten.
Insbesondere Instrumente wie Klageprivilegien für Unternehmen und die regulatorische Kooperation bergen erhebliche Risiken. Es ist zu befürchten, dass durch diese Instrumente in TTIP Großkonzerne und Lobbyisten erheblich an Einfluss gewinnen – zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger in Europa, aber auch in den USA. Mehr noch: Die Stellung demokratisch gewählter Parlamente könnte zugunsten von Interessenverbänden untergraben werden.
Deshalb ist das geplante Kapitel zum Investitionsschutz beziehungsweise den Regelungen zu Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen ISDS (Investor-state dispute settlements) einer unserer Hauptkritikpunkte. Dahinter verbergen sich Sonder-Klagewege für Unternehmen vor nichtstaatlichen, überwiegend geheim tagenden, internationalen Schiedsgerichten. Wir Grüne im Bundestag lehnen ein solches Instrument in TTIP genauso wie in CETA ab.
Ursprünglich sollten diese Regeln Unternehmen in Staaten mit nicht ausreichend entwickelten Rechtssystemen vor Enteignung schützen. Die EU und die USA sind jedoch robuste Rechtsstaaten, auf beiden Seiten des Atlantiks können Firmen ihre Rechte vor staatlichen Gerichten einklagen. Ein solches Instrument ist nicht nur unnötig, es birgt auch große Risiken.
In den letzten Jahren nutzten Konzerne zunehmend bestehende Investitionsschutzverträge für ihre Interessen. Sie griffen staatliche Regelungen zum Umwelt- oder Gesundheitsschutz an, wenn sie ihre Profite dadurch eingeschränkt sahen, und stellten Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe. Die Lasten tragen die Bürgerinnen und Bürger. Zum einen weil die Steuerzahler für die Schadensersatzforderungen von Großkonzernen aufkommen müssen, zum anderen weil sinnvolle Regulierungsvorhaben, etwa zum Schutz von Sozialstandards, unter die Räder kommen können. Problematisch daran ist auch das mögliche Droh- und Druckpotenzial, das dieser Mechanismus grundsätzlich gegenüber staatlichen Regulierungsmaßnahmen entfalten kann. Unter Umständen kommt es zu einem „Chilling Effect“: Angesichts der Gefahr möglicher Klagen verzichten Staaten lieber gleich auf Regulierungsvorhaben oder zögern sie zumindest hinaus.
Vor allem weit interpretierbare Rechtsbegriffe haben Konzerne dabei als Grund für Klagen genutzt. Auf dieser Grundlage hat Philip Morris beispielsweise Uruguay auf Zahlung von zwei Milliarden Dollar Schadensersatz verklagt, wegen Vorschriften für Zigarettenpackungen, die dem Schutz der Gesundheit dienen sollen. Das Beispiel zeigt: Internationale Konzerne nutzen ihre Klage-Privilegien ganz gezielt, um ihre Gewinne zu maximieren. Das ist nicht hinnehmbar. Es ist zu befürchten, dass auch in TTIP die Klagebefugnisse nicht so konkretisiert werden, dass Schutz vor missbräuchlichen Konzernklagen geboten wird.
Dieses Problem war Gegenstand eines Fachgesprächs der grünen Fraktion und eines von uns in Auftrag gegebenen unabhängigen Rechtsgutachtens. Die Bundesregierung hingegen konnte sich bislang, trotz wiederholter Nachfragen, zu keiner fachlichen Bewertung der Kommissionsvorschläge durchringen. Die Interessen internationaler Konzerne scheinen für die Bundesregierung die Interessen der VerbraucherInnen zu überwiegen.
Mit freundlichen Grüßen
Özcan Mutlu