Frage an Özcan Mutlu von Karin S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Herr Mutlu
Sie haben dagegen angekämpft. dass Schülerinnen in einer Schule als gemeinsame Sprache Deutsch verabredet haben. Sie sahen darin eine Diskriminierung der Türken in Berlin. Sie reden von Integration erwecken aber den Eindruck, als wollten Sie den Status von Türken in Berlin stärken. Ich vermisse bei Ihnen das Interesse für alle Kinder, egal welcher Herkunft in Berlin. Wie möchten Sie gewährleisten dass Sie als Deutscher, der sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, dass das Bildungssystem für hier alle hier lebende Kinder Bildungschancen endlich wahr macht?
Meine Zweite Frage zielt auf Integration durch Bildung ab. Ihr Kind haben Sie auf eine Privatschule eingeschult. Was möchten Sie politisch für das staatliche Bildungssystem erkämpfen. damit auch Sie Ihrem Kinde zumuten möchten die staatliche Schule zu besuchen??
Für eine Antwort bin ich dankbar
Sehr geehrte Frau Schneider-Kaczmarec,
vielen Dank für Ihren Beitrag. Leider haben Sie mich missverstanden, ich hoffe, dass diese Antwort etwas Klarheit bringt.
Deutschland ist ein Einwanderungsland, und dies soll sich meiner Meinung nach auch im Literatur- und Geschichtsunterricht widerspiegeln. Kinder mit Migrationshintergrund (egal, ob arabisch, italienisch oder türkisch) sind Teil der deutschen Gesellschaft - wieso sollen sie sich nicht auch in den deutschen Büchern wiederfinden? Ich habe dies am Beispiel der Türken zeigen wollen, weil nun mal die türkische Bevölkerung den größten Einwanderungsteil ausmacht.
Deutsch ist natürlich Amts- und Umgangssprache. Ich habe nicht dagegen angekämpft, dass SchülerInnen in einer Schule als gemeinsame Sprache Deutsch verabredet haben. Leider herrscht in Deutschland bei Kindern mit Migrationshintergrund oft eine doppelte Halbsprachigkeit. Ich meine, dass die Muttersprache für den Zweitspracherwerb sehr bedeutsam ist, sie dient als Fundament. Wer die Struktur und die Grammatik seiner Muttersprache beherrscht hat es einfacher eine Zweit- bzw. Fremdsprache zu lernen.
Als bildungspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen setzte ich mich für alle Kinder und Jugendlichen, besonders für sozial benachteiligte Familien, unter welchen nun mal leider viele Kinder mit Migrationshintergrund sind, ein. Daher kann ich Ihren Vorwurf, mich nur für die türkischen Kinder zu interessieren, nicht nachvollziehen.
Ihre zweite Frage basiert auf einer Fehlinformation. Meine Kinder sind auf keiner Privatschule eingeschult. Meine Tochter geht im tiefsten Kreuzberg (SO-36) zur Schule und mein Sohn, der jetzt auf einer Neuköllner Gesamtschule ist, hat seine Grundschule in Kreuzberg absolviert. Ihre Klassen weisen auch einen hohen Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund auf. Meine Kinder sind zweisprachig und sprechen dennoch perfekt Deutsch - mein Sohn spricht trotz einer staatlicher Kreuzberger Schule vier Sprachen!
Trotzdem möchte ich Ihnen meine Bildungspolitik etwas näher bringen, damit auch anderen "Familien zugemutet werden kann, Ihre Kinder auf staatliche Schulen zu schicken": Wie auf meiner Homepage zu lesen ist, bin ich für eine innere und eine äußere Schulreform! Chancengleichheit, Verlässlichkeit und Qualität ist mein Credo für die Berliner Schule. Schule muss ein Ort zum Lernen und Leben werden. Ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche soziale Kompetenzen erwerben sowie für die Anforderungen der Wissensgesellschaft gewappnet werden. Dafür muss sich Schule vielfältig mit ihrem Umfeld und mit der Jugendhilfe vernetzen und sich zu einem täglich erfahrbaren Lebensort entwickeln. Dazu gehört auch, die Eltern stärker als bisher in Entscheidungen einzubeziehen. Deshalb setze ich mich für die Ganztagsschule ein, an der sich intensives Lernen und Freizeit abwechseln. Schulen brauchen auch mehr Eigenverantwortung und eigene Budgets - dafür engagiere ich mich!
Bildungspolitik ist für mich Integrationspolitik. Kinder aus sozial benachteiligten Familien und Kinder mit Migrationshintergrund sind die großen Verlierer des planmäßigen Aussiebens im dreigliedrigen Schulsystem. Durchlässigkeit besteht für sie vor allem nach unten, und gerade deshalb sehen wir in letzter Zeit, dass Respektlosigkeit und Gewalt immer mehr um sich greifen. Wenn sich soziale Benachteiligung und migrationsbedingte Probleme potenzieren, wenn schwer miteinander vereinbare Wertvorstellungen und Perspektivlosigkeit zusammentreffen, dann geht in den Schulen häufig nichts mehr, und es zeigt sich: Das friedliche Zusammenleben ergibt sich nicht von alleine. Es bedarf vielmehr der aktiven Erziehung zu gegenseitigem Respekt und zur Anerkennung von Vielfalt und Unterschiedlichkeit. Deshalb ist eine Bildungsoffensive vonnöten. Dazu zählt die Reform der LehrerInnenausbildung, die Reform der Rahmenpläne und eine zeitgemäße Lernkultur, die auf individuelle Förderung aufbaut - das ist mein Programm!
Ich hoffe, damit Ihre Fragen beantwortet zu haben, auf meiner Homepage www.mutlu.de finden Sie weitere Informationen.
Mit freundlichen Grüßen,
Özcan Mutlu