Frage an Özcan Mutlu von Jörg K. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Mutlu,
Pressemeldungen (vgl. „Das ist der Einstieg in ein Zwei-Klassen-Sozialrecht“ in: junge welt, 12. 7. 2006, S. 8) zufolge planen Bund und Länder Gebühren für Sozialgerichtsverfahren einzuführen. Betroffene sollen zukünftig eine Grundgebühr von 75 € vor Einleitung eines Verfahrens zahlen. Ist ihnen dies nicht möglich, können sie zwar Prozesskostenhilfe beantragen, müssen diese jedoch mit 50 € kofinanzieren.
Die Folge wäre, dass insbesondere Erwerbslose zunächst einmal tief in die Tasche greifen müssten, ehe sie die Möglichkeit hätten sich gerichtlich gegen fehlerhafte Alg II-Bescheide oder fragwürdige Leistungskürzungen zu wehren. Denjenigen, für die die Sozialgerichtsbarkeit eingeführt wurde, nämlich für die materiell schlechter gestellten Bürger und Bürgerinnen, soll anscheinend die Möglichkeit versperrt werden, gegen Entscheidungen der Verwaltung zu klagen.
Was halten Sie von diesen Plänen? Halten Sie es für legitim und mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar, der Überlastung der Sozialgerichte damit zu begegnen, Erwerbslose durch hohe Kosten abzuschrecken?
Mit freundlichen Grüßen
Jörg Klitscher
Sehr geehrter Herr Klitscher,
vielen Dank für Ihren Beitrag und Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte. Natürlich halte ich es nicht für legitim, gerade den sozial benachteiligten Menschen weitere Steine in den Weg zu legen.
Dies hatten wir auch deutlich in das grüne Programm zur letzten Bundestagswahl aufgenommen:
"Die Menschen müssen die Gewissheit haben, dass sie in angemessener Zeit und unabhängig vom Geldbeutel ihre Rechte durchsetzen können. Eine Ausweitung der Gebühren in Sozialgerichtsverfahren lehnen wir ab." (Grünes Wahlprogramm 2005, S. 97, www.gruene.de).
Bei der Gelegenheit möchte ich gleich darauf hinweisen, dass wir auch auf Berliner Landesebene Handlungsbedarf sehen. Im Gegensatz zum rot-roten Senat sind wir nicht der Ansicht, dass die Bundesarbeitsgesetze (also Sozialgesetzbuch II und III) die Landesregierung aus der Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik entlassen. Um gesetzlich vorhandene Spielräume und Bundesgelder dieser Stadt sinnvoll nutzen zu können, müssen außerdem die Zuständigkeiten der beteiligten Verwaltungen dringend gebündelt werden. Zögen die Verantwortlichen in Berlin an einem Strang, wären gezieltere Hilfestellungen durchaus möglich. Wie auch unserem Programm zu entnehmen ist, hat für uns Arbeitsmarktpolitik die Aufgabe, allen Arbeitslosen neue und gute Teilhabechancen zu eröffnen. Gleichzeitig müssen gerade die Schwächeren stärker unterstützt werden als diejenigen, die über größere Ressourcen verfügen, um sich selbst zu helfen.
Ich hoffe auf Ihre Unterstützung bei der Wahl, damit wir gemeinsam für eine bessere Arbeitsmarktpolitik kämpfen können und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
Özcan Mutlu