Frage an Özcan Mutlu von Jörg K. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Mutlu,
Welche Position beziehen Sie zum Thema Ein-Euro-Jobs (=“Arbeitsangelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“ oder kurz MAE)? Seit der Einführung von Hartz IV haben die Berliner JobCenter von dieser Variante der „Eingliederung in Arbeit“ massiv Gebrauch gemacht, während Weiterbildungsmaßnahmen und ABM kräftig zurückgefahren wurden. Diese Ein-Euro-Jobber ohne regulären Arbeitsvertrag und Arbeitnehmerrechte werden v.a. im Bereich des öffentlichen Dienstes (Kitas, Schulen, Bibliotheken usw.) sowie der Freien Wohlfahrtspflege eingesetzt und sollen offenbar die Lücken schließen, die Personalabbau und Privatisierung in den letzten Jahre geschlagen haben. Immer wieder sind in der Presse Berichte zu lesen über, Verdrängungseffekte, zweifelhafte Projekte (vgl. z. B. „Die Geschichte wird umgeschrieben“ TAZ , 24. 2. 2006, S. 23), dubiose Maßnahmeträger und zweifelhafte Praktiken der JobCenter, um Erwerbslose in diese MAEs abzudrängen. Halten Sie dieses arbeitsmarktpolitische Instrument für sinnvoll oder dient es nicht doch eher dazu die Erwerbslosenstatistik zu schönen? Welche Einflussmöglichkeiten hat die Berliner Politik auf Landes- und Bezirksebene, um die Vergabepraxis der JobCenter sowie die Maßnahmeträger stärker zu kontrollieren und für Betroffene transparenter zu machen? Sehen Sie in diesem Zusammenhang überhaupt Handlungsbedarf, d. h. negative Effekte? Gibt es ihrer Meinung nach praktikable arbeitsmarktpolitische Alternativmodelle? Oder müssen wir uns damit abfinden, dass auf die vielgescholtenen „ABM-Karrieren“ nun die „MAE-Karrieren“ folgen?
Mit freundlichen Grüßen
Jörg Klitscher
Sehr geehrter Herr Klitscher,
Bündnis 90/Die Grünen sind der Auffassung, dass befristete Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (MAE) nur dort als zusätzliche Kräfte zum Einsatz kommen dürfen, wo es wirklich sinnvoll ist. Der Einsatz von MAE sollte auf die Zielgruppe arbeitsmarktferner Personen beschränkt werden. Dass Berlin bisher hauptsächlich auf MAE gesetzt hat, war die gemeinsame Entscheidung von Arbeitsenator Wolf (Linkspartei.PDS) und der Regionaldirektion. Über die Vergabe der Maßnahmen entscheidet die Trägervertretung in den Arbeitsgemeinschaften der Jobcenter, die ebenfalls zu 50 Prozent durch die Bezirke besetzt ist (und 50 Prozent durch die Arbeitsagentur).
Seit September 2005 gibt es eine durch die Bundesagentur (ehemals BMWA) und die kommunalen Spitzenverbänden verabschiedete Rahmenvereinbarung. Sie hat das Ziel, in den Jobcentern klare Verhältnisse bzgl. der Personal- und Budgethoheit sowie die Mehrheit der kommunalen Seite in der Trägerversammlung zu schaffen. Danach können die Arbeitsgemeinschaften (ARGEN) vor Ort selbst über Personal, Mittelverwendung und Organisation der Job-Vermittlung entscheiden. Damit werden zwar nicht alle organisatorischen Probleme bei der Umsetzung des SGB II beseitigt, aber damit wird die Voraussetzung geschaffen, um verbindliche gesamtstädtische, arbeitsmarktpolitische Leitlinien zu schaffen und den Jobcentern gleichzeitig mehr Kompetenzen zu geben. Obwohl das Abgeordnetenhaus auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen einstimmig beschlossen hat, die Rahmenvereinbarung auch für Berlin in Kraft zu setzen, verweigert der rot-rote Senat dies.
Wir wollen Beschäftigungsverhältnisse schaffen, die wirtschaftliche und soziale Prinzipien miteinander verbinden. Diese "Gemeinwirtschaftliche Arbeit" kann grundsätzlich in allen Branchen und Tätigkeitsfeldern stattfinden. Vor allem aber soll dadurch gesellschaftlich notwendige Arbeit organisiert werden, die sonst nicht verrichtet wird und brach liegt - ob im Jugendbereich, im Umweltschutz oder auf sozialem und kulturellem Gebiet. Ungeachtet dessen, dass wir Korrekturbedarf bei den Arbeitsmarktgesetzen auf Bundesebene sehen, wollen wir die Weichen hier auf der Berliner Landesebene neu stellen. Voraussetzung für das Projekt "Gemeinwirtschaftliche Arbeit" ist eine gesamtstädtische gemeinsame Strategie des Arbeitssenats mit den Jobcentern.
Wir wollen erreichen, dass mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse eingerichtet werden. Und zwar auch länger als die derzeit üblich 6 Monate, wenn dies für die oder den Betroffene/n sinnvoll ist. Gemeinwirtschaftliche Arbeit, insbesondere, wo sie sich um Menschen kümmert, ob jung oder alt, braucht ein gewisses Maß an Kontinuität und Beständigkeit.
Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren und setzen uns für die Möglichkeit der Kapitalisierung von passiven Leistungen zur Finanzierung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ein. Zusätzlich zu den passiven Transferleistungen Arbeitslosengeld II einschließlich Sozialversicherungsbeiträgen sowie den Kosten der Unterkunft (KdU), soll auch die Umwandlung der Eingliederungsmittel für Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung in einen Lohnkostenzuschuss möglich sein, um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu fördern. Dies kostet den Staat keinen Cent mehr, eröffnet aber eine Vielzahl von Integrationsmöglichkeiten. Voraussetzung zur Kapitalisierung von Arbeitslosengeld II zur Schaffung öffentlich geförderter sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse ist eine bundesgesetzliche Zustimmung zur Möglichkeit der Übertragung der Mittel für passive Leistungen in das aktive Leistungsbudget zur Finanzierung eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatzes.
Für weitere Frage stehe ich gerne zur Verfügung
Mit freundlichen Grüßen
Özcan Mutlu