Frage an Niema Movassat von Gerhard R. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Movassat,
bitte lesen Sie den erschütternden Bericht über einen italienischen Soldaten - Fundstelle unten. Ist der Soldat Luca doch ein Opfer, ein Opfer der Werbung, ein Opfer der Irreführung? Was wird dieser Mensch empfinden, wenn in Afghanistan die von ihm befürworteten Ziele nicht erreicht wurden?
Aus der nachfolgenden Geschichte:
Neun Monate liegt er in Mailand im Spital. Er begreift dort, dass er die Glieder nie mehr bewegen kann. Wut kennt er nicht, eher Scham. «Ich hatte das Gefühl, aus Afghanistan zu flüchten, die Kameraden im Stich zu lassen, ein Deserteur zu sein», sagt er. «Als ich im Helikopter lag, dachte ich nur, was ist aus meinen Freunden geworden?» Dabei hat er doch seine Jugend geopfert, seine Beine, den Tanz mit Frauen, das normale Leben. «Ich bin kein Opfer», wehrt er ab. «Ich habe nur meine Pflicht getan.»
In Afghanistan abgeknallt: Soldat Luca! Kein Opfer, kein Held - Blick ( www.blick.ch ) Apr. 2012 – Kerngesund und voller Optimismus geht Luca Barisonzi mit 18 zur Armee. Mit 20 schiesst ihn ein Afghane in den Hals. Jetzt ist der Grenadier ...
Halten Sie es für erforderlich, daß junge Menschen alle gesundheitlichen Folgen einer Kriegsteilnahme kennen?
Falls ja: Werden Sie sich in Ihrem Wahlkreis dafür einsetzen, daß in Schulklassen über den Artikel diskutiert wird?
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
das bewegende und tragische Beispiel von Luca hat mich erschüttert. Es zeigt sehr deutlich was Indoktrination und Chorgeist bei einem Menschen anrichten können. ( http://www.blick.ch/news/ausland/soldat-luca-kein-opfer-kein-held-id1845417.html ). Leider ist er nur einer von vielen Opfern, die unsere sinnlosen imperialistischen Kriege fordern.
Nun aber zu Ihren Fragen:
- Halten Sie es für erforderlich, dass junge Menschen alle gesundheitlichen Folgen einer Kriegsteilnahme kennen?
In vielen Bundesländern gibt es sogenannte "Kooperationsvereinbarung" zwischen Schulministerien und Bundeswehr. Mein Bundesland NRW hatte als erstes eine solche Vereinbarung getroffen, es folgten weitere sechs. Seitdem besuchen „Jugendoffiziere“ der Bundeswehr regelmäßig Schulen und versuchen dort gezielt, Jugendliche für den Dienst an der Waffe zu begeistern. Meist wird dabei nur oberflächlich über Gefahren im Einsatz oder Traumata von wiedergekehrten SoldatInnen berichtet. Schließlich wollen die „Jugendoffiziere“ Jugendliche bei solchen Vorträgen anwerben bzw. für die Bundeswehr interessieren und nicht abschrecken. Denn die Bundeswehr hat ein Rekrutierungsproblem: Wer andere Ausbildungschancen hat, der geht normalerweise nicht zur Bundeswehr. Ein besonders verabscheuenswürdiger und verherrlichender Bundeswehr-Werbespot lief auf der Internetseite der BRAVO und sollte ein besonders junges Zielpublikum ansprechen (ich habe damals einen Brief an die BRAVO Redaktion geschrieben: http://movassat.de/1088 ).
Ich persönlich setze mich für ein Verbot jedweder Kriegswerbung an Schulen ein und fordere daher die Aufkündigung der Kooperationsvereinbarungen. Die Bundeswehr darf kein Gesprächspartner sein - ganz besonders nicht an Schulen! Die Friedensaufklärung ist in der BRD nicht staatlich organisiert und kann leider kein Gegengewicht zu einer professionell aufgestellten Kriegspropaganda sein. Für alle Interessierten kann ich das folgende Merkblatt der Informationsstelle Militarisierung sehr empfehlen: http://imi-online.de/download/factSheetSchuleBW2011_web.pdf
Dort, wo allerdings bereits die Indoktrination der SchülerInnen durch die Bundeswehr von der Schulleitung abgesegnet wurde, wäre es fatal, eine Gegenaufklärung im Sinne einer Friedenserziehung zu verweigern. Es ist aber darauf zu achten, dass der Bundeswehr nicht die gleiche Augenhöhe zugestanden wird.
- Werden Sie sich in Ihrem Wahlkreis dafür einsetzen, dass in Schulklassen über den Artikel diskutiert wird?
Wir haben in meinem Wahlkreis regelmäßig Schulklassen zu Besuch, die ganz gezielt für eine Gegenaufklärung zu uns kommen. Sehr gerne werden wir mit den zuständigen LehrerInnen besprechen, ob sie das Beispiel von Luca mit den SchülerInnen aufbereiten und besprechen wollen. Ob und wie sie dies tun, möchte ich allerdings den pädagogisch geschulten LehrerInnen überlassen, denn auch ich denke, dass das Beispiel von Luca nur dann sinnvoll zur Friedenserziehung eingesetzt werden kann, wenn die ganze Tragweite der Tragik klar wird. Er steht ja trotz seiner körperlichen Gebrechen immer noch voll und ganz hinter der Armee. Damit dies nicht weiter glorifiziert und heroisiert wird, bedarf es aus meiner Sicht einer sehr guten Gesprächsbegleitung mit den SchülerInnen.
Ich hoffe ich konnte Ihre wichtigen Fragen zufriedenstellend beantworten und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
Niema Movassat