Frage an Niema Movassat von Klaus-Peter P. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Movassat,
Wie genau stellen sie sich eine ,,Schule für Alle´´ vor und wie genau gedenken sie diese umszusetzten?
Mir wird als Schulsprecher eines Gymnasiums im Siegerland immer wieder eines bewusst, Tag für Tag sehe ich junge Menschen, die weder die Motivation haben, noch die Disziplin sich in der Schule anzustrengen. ,,Die Schule ist immer ein Spiegelbild der Gesellschaft´´- Wenn ich mir diesen Satz zu Herzen nehme, erkenne ich, außer der wirklich existenten, Unterfinanzierung keinen größeren Fehler im Bildungssystem. Muss es zwangsläufig an den Lehrern oder dem Bildungsystem im Allgemeinen liegen, dass SchülerInnen bereits vor Antritt des 1. Schuljahres entweder schlecht erzogen wurden oder, im Falle einer Migration, bis dato keine Deutschkentnisse vorliegen?
Setzt man mit der ,,Abschaffung der Noten´´ nicht am falschen Ende an? Es ist doch bereits jetzt so, dass die Leistungsunterschiede Bayern- NRW z.B. derart gravierend sind, dass man die Abschlüsse nicht annähernd vergleichen kann. Der mangelnde Leistungsdruck, duch die ganze Bandbreite an Schule ( Universiäten augenommen) führt doch gerade dazu, das wirklich faule Schüler, schlechte Noten schreiben. Ich als Schüler weiß wovon ich rede, Lehrer und größere Klassen sind bei weitem nicht das Problem unseres Bildungssystem, vielmehr eine ,,Ich hab keinen Bock´´ Einstellung der Schüler. Jeder kann schulisch gut abschneiden, wenn er will, er kann aber auch seine Lernprobleme und seine Fehler bei anderen suchen, sehe ich alltäglich...
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Profus - [´solid] Siegen
Lieber Herr Profus,
gerne schildere ich, wie ich bzw. wir als Partei DIE LINKE zu unseren Überzeugungen und Forderungen in Sachen Schule kommen, wie wir gedenken es umzusetzen und welche Möglichkeiten zur Finanzierung es geben könnte.
Aus der empirischen Schulforschung und aus internationalen Schulleistungsvergleichen wissen wir, dass es in Deutschland einen besonders engen Zusammenhang gibt zwischen sozialer Herkunft und Bildungs- bzw. Schulerfolg.
Nur in Deutschland werden die SchülerInnen so früh – nach der vierten Klasse – getrennt. Schulleistungsvergleiche haben gezeigt, dass sich die Schulleistungen der Kinder in der SEK I über Haupt-, Real- und Gymnasium hinweg stark überlappen. Wir haben in Deutschland die größte Sitzenbleiberquote in Europa, obwohl wir wissen, dass das „Sitzen bleiben“ in aller Regel schulpädagogisch wenig sinnvoll ist.
Forschungsergebnisse zeigen, dass das Lernen in heterogenen Gruppen Lernvorteile bringt. Auch das Lernen in jahrgangsübergreifenden Gruppen erweist sich als erfolgreich. Im internationalen Vergleich hat allerdings Deutschland deutlich die homogensten Klassen und die größte Spreizung in den Schulformen. Solche Gruppen, die sich dann auch noch aus überwiegend leistungsschwächeren SchülerInnen zusammensetzen (Hauptschule), bieten besonders ungünstige Lernbedingungen.
Integrative Schulstrukturen sind weder gleichmachend noch leistungsfeindlich. Die internationalen Schulleistungsvergleiche haben gezeigt, dass solche Strukturen i.d.R. ein höheres Gesamtniveau erreichen. Je länger einE SchülerIn z. B. die Förderschule für Lernbehinderte besucht, umso schlechter werden seine/ihre Leistungen. Lernbehinderte SchülerInnen werden in ihren Leistungen in allgemeinen Schulen besser gefördert als in Förderschulen. Leider ist in Deutschland – im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern – integrativer Unterricht die große Ausnahme (13%). Desweiteren gelingt es den meisten anderen europäischen Ländern wesentlich besser, SchülerInnen mit Migrationshintergrund zu fördern.
Im internationalen Vergleich
- gibt es in Deutschland eine sehr große „Risikogruppe“ Jugendlicher (20% statt 4-6 % im OECD-Schnitt), die keinen Schulabschluss oder keinen Ausbildungsplatz erreichen oder verschiedene Bildungsmaßnahmen ohne Aussicht auf einen beruflichen Einstieg absolvieren.
- erzielen nur wenige SchülerInnen in Deutschland Spitzenleistungen.
- erreicht in Deutschland nur ein vergleichsweise kleiner Anteil der Jugendlichen die Gymnasiale Oberstufe und die Hochschulzugangsberechtigung (ca. 30% gegenüber 74% in Frankreich und 76 % in Finnland)
Für DIE LINKE ist Bildung keine Ware, sondern ein Menschenrecht. Jede und jeder muss sich umfassend bilden, individuell entwickeln und an der Gesellschaft teilhaben können. Bildung darf nicht an ökonomischer Verwertbarkeit ausgerichtet werden, auch wenn sie Einblicke in den beruflichen Alltag vermitteln soll. Schulen sollen zum Lernen motivieren. Dafür braucht es eine Betreuungssituation, in der Lehrerinnen und Lehrer auf individuelle Bedürfnisse eingehen können, und die Kindern und Jugendlichen Räume für Mitsprache offen lässt.
Daher fordern wir das Recht auf gebührenfreie und gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen – unabhängig vom Geldbeutel und vom Bildungsstand der Eltern. Das Schulsystem muss grundlegend erneuert werden. O.g. Fakten zeigen doch, dass „eine Schule für alle“ in anderen Ländern dazu beiträgt, die soziale Auslese im Schulsystem zu beenden und die Fähigkeiten jedes einzelnen Jugendlichen besser zu fördern.
Dazu braucht es kleinere Klassen, mehr Ganztagsschulen, mehr Lehrerinnen und Lehrer, mehr sozialpädagogische Arbeit an den Schulen und die Rücknahme des Turboabiturs. DIE LINKE setzt sich dafür ein, dass Bund und Länder Geld für einen nationalen Bildungspakt bereitstellen. Allein um die durchschnittlichen Bildungsausgaben der OECD-Länder zu erreichen, müssen Bund und Länder jedes Jahr rund 18 Milliarden Euro mehr in die Hand nehmen.
Möglichkeiten zur Finanzierung gibt es viele, wie z. B. die Anhebung des Spitzensteuersatzes und der Erbschaftssteuer, die Einführung einer Millionärssteuer und einer Steuer auf Finanztransaktionen. Desweiteren könnten die zur Rettung der Banken verschenkten Milliarden von den nun wieder fleißig verdienenden Banken zurückgefordert werden. Gerne auch in Raten.
Ich hoffe, dass ich hiermit Deine Fragen zu Deiner Zufriedenheit beantworten konnte. Für weitere Fragen und Diskussionen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Niema Movassat