Frage an Niels Annen von Jürgen K. bezüglich Finanzen
Guten Tag Herr Annen,
aufgrund welcher Umstände konnte die Fraktion der SPD im Jahre 2000 die
Unternehmenssteuerreform mit der Umstellung vom Anrechungsverfahren auf das sogen. Halbeinkünfteverfahren beschließen, obwohl den Abgeordneten das Manifest der 78 Professoren "Verteidigt das Anrechnungsverfahren gegen unbedachte Reformen!" vorgelegen hat?
Wie kann ein Abgeordneter in Kenntnis der dadurch initiierten Steuerausfälle, die in einen faktischen Konkurs der öffentlichen Kassen führen würden, einem solchen Gesetz zustimmen?
Das ist mir - nachdem ich dieses Manifest heute gelesen habe - schlicht unbegreiflich. Ich möchte das aber doch gerne verstehen..
Sehr geehrter Herr Klinger,
vielen Dank für Ihre Mail und Ihre Nachfrage.
Als im Bundestag die Entscheidung über die Umsatzsteuerreform 2000 gefällt wurde, war ich selbst noch nicht als Abgeordneter im Plenum vertreten. Insofern bitte ich um Nachsicht, wenn ich Ihnen dazu ein genaues Bild der Hintergründe schuldig bleiben muss. Ich bitte Sie aber zu bedenken, dass sich das Finanzministerium im Rahmen der Debatte um die weitere Steuerpolitik der Bundesregierung in einem Diskussionspapier 2008 ausdrücklich auf langfristig positive Effekte der damaligen Steuerreform bezogen hat.
Ganz grundsätzlich schwingt in Ihrer Frage aber auch - so verstehe ich Sie zumindest - das Problem mit, wie wir Politikerinnen und Politiker mit dem Rat von Experten und Lobbyisten umgehen. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens melden sich eigentlich immer Organisationen und Verbände zu Wort, die aus ihrer täglichen Arbeit die Gesetzesvorhaben kenntnisreich kommentieren können. Über Anhörungsverfahren findet diese Expertise auch Gehör in den parlamentarischen Gremien.
Dabei bleibt es nicht aus, dass die Perspektive von Fachleuten nicht immer ungebrochen in die politische Meinungsbildung übernommen wird. Mitunter kommen Politikerinnen und Politiker auch zu einer gänzlich anderen Einschätzung als Fachexperten. Oder aber wir sind mit konkurrierenden Expertenmeinungen konfrontiert.
Letzten Endes haben wir uns als Politikerinnen und Politiker meiner Meinung nach immer der Entscheidung zu stellen, inwieweit wir bestimmte Bedenken oder auch Anregungen in das Gesetzesvorhaben einfließen lassen können. Es kommt ja auch vor, dass aus der Perspektive einer bestimmten Gruppe oder auf kurze Sicht ein Gesetz negative Auswirkungen hat; langfristig oder für eine größere Zahl von Menschen die Regelungen aber positiv sind.
Ihre Frage kann ich daher nur so beantworten: Die Entscheidung, einem Gesetzesentwurf zuzustimmen oder ihn abzulehnen kann ich als Abgeordneter immer nur nach einer Abwägung treffen, ob der Nutzen für alle unter dem Strich die Nachteile über dem Strich wert ist. Das macht nicht jede Entscheidung richtig - aber hoffentlich ehrlich.
Ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen meinen Standpunkt näher bringen konnte.
Herzliche Grüße,
Niels Annen