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Niels Annen
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Frage von Rene L. •

Frage an Niels Annen von Rene L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Abgeordneter

den Begriff "demokratischer Sozialismus" der Linkspartei habe ich auch im Zusammenhang mit der SPD gehört.

Wo liegen die Unterschiede in der Interpretation von diesem Begriff von der Linkspartei zu denen der SPD?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Lima,

vielen Dank für Ihre spannende Frage nach dem demokratischen Sozialismus.

Gern stelle ich Ihnen mein Verständnis dieses für die SPD immer noch wesentlichen Begriffs vor. Bitte entschuldigen Sie, dass ich erst verspätet dazu komme, Ihre Frage zu beantworten.

Sicher ist es richtig: „Demokratischer Sozialismus“ gehört nicht unbedingt zu den Alltagsformulierungen, in denen wir sprechen. Dennoch ist und bleibt er einer der zentralen Begriffe für die politische Orientierung der SPD.

Im Hamburger Programm, dem neuen Grundsatzprogramm der SPD von 2007, haben wir es so formuliert: „Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist.“

Die Geschichte der SPD ist von der Idee des demokratischen Sozialismus geprägt.

Zu Anfang der 20er Jahre diente der Begriff dazu, sich in der Auseinandersetzung mit Lenin und Trotzki über die Diktatur des Proletariats bewusst vom Terror der Bolschewiki abzugrenzen. Durch den Begriff Demokratischer Sozialismus galt es klar zu machen, dass die SPD ihre Ziele nicht mit Gewalt durchsetzt. Und schon Wilhelm Liebknecht, einer der Gründungsväter der SPD, hat Demokratie und Sozialismus als sich ergänzende Bedingungen für eine freie und gerechte Gesellschaft ausgemacht:

„Sozialismus und De­mokratie sind nicht dasselbe, aber sie sind nur ein verschiede­ner Ausdruck desselben Grundgedankens; sie gehören zueinan­der, ergänzen einander, können nie miteinander in Wider­spruch stehen. (...) Der demokratische Staat ist die einzig mögliche Form der sozialistisch organisierten Gesellschaft.“

Demokratischer Sozialismus ist ein Identitätskern der deutschen Sozialdemokratie; er war in allen Parteiprogrammen von Gotha bis Berlin enthalten. Das bedeutet nun nicht, dass der Begriff immer unumstritten war. Auch bei der Diskussion um das Hamburger Programm stellte sich uns Sozialdemokraten die Frage, was das Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus konkret für unsere Politik bedeutet. Häufigster Kritikpunkt ist dabei das Argument des ökonomischen Systemwechsels: Muss, wer demokratischen Sozialismus will, nicht umgehend den Kapitalismus abschaffen?

Solche Kurzschlüsse sind meiner Meinung nach zu einfach. Was stimmt, ist dies:

Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftsdemokratie sind konkrete Politikziele, die sich unmittelbar aus der Idee des demokratischen Sozialismus ergeben. Das bedeutet, dass wir Sozialdemokraten am Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft festhalten müssen – was aber nicht bedeutet, dass wir nun umgehend die Planwirtschaft einführen wollten. Vielmehr geht es darum, dass nicht zur bloßen Ware wird, was nicht zur Ware werden darf: Recht, Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Kultur, Umwelt.

Marktwirtschaft bleibt ein notwendiges Mittel, um Wirtschaftsprozesse zu regeln. Entscheidend ist jedoch, dass die Politik den Markt sich nicht sich selbst überlassenen darf, denn Kapitalismus pur ohne staatliche Steuerung ist von sich aus nicht in der Lage, die öffentlichen Güter in angemessenem Umfang bereitzustellen. Soziale Marktwirtschaft bedarf gerade in Zeiten der Globalisierung der Regeln eines sanktionsfähigen Staates, wirkungsvoller Gesetze und fairer Preisbildung. Dass die SPD damit kein utopisch-sozialromantisches Wirtschaftsmodell formuliert hat, zeigen die jüngsten Entwicklungen. Interessanterweise rufen in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise gerade die privatwirtschaftlichen Platzhirsche nach staatlicher Steuerung und Regulierung.

Demokratischer Sozialismus prägt als sozialdemokratische Leitidee nicht nur wirtschaftspolitisches Handeln. Demokratischer Sozialismus bedeutet auch, politisch an der Verwirklichung einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft zu arbeiten. Sie verlangt, dass wir Gesellschaft, Staat und Wirtschaft so gestalten, dass die bürgerlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte garantiert sind und die Menschen ein Leben ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt führen können.

Das sind mitnichten nur große Worte. In konkrete Politik übersetzt bedeutet dies z. B. sich für faire Mindestlöhne einzusetzen, Arbeitnehmerrechte zu stärken, Bildung und Ausbildung für alle zu ermöglichen, eine starke Familienpolitik zu machen, konsequent für Gleichberechtigung einzutreten, den Sozialstaat nicht preiszugeben, nachhaltige Umweltpolitik zu machen. Das ganze Programm eben – und zwar für alle Menschen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen Einblick in das sozialdemokratische Verständnis des demokratischen Sozialismus geben.

Herzliche Grüße,

Niels Annen

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