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Niels Annen
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Frage von Christian R. •

Frage an Niels Annen von Christian R. bezüglich Recht

Lieber Niels,
ich habe in den letzten Wochen ein wenig über die Aktivitäten des Deutschen Kollegs und der Reichsregierungen recherchiert. Dabei ist die Frage aufgetaucht, ob es nicht eine rechtliche Handhabe dagegen gibt, dass diese Kreise offensichtlich Reichspässe und Reichsführerscheine etc. nutzen und für sich die Hoheitsrechte des Deutschen Reiches beanspruchen. Wie ist die derzeitige Rechtslage bezüglich der Staatssouveränität der Bundesrepublik und des Deutschen Reiches? Vielen Dank.

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Lieber Christian,

vielen Dank für Deine Anfrage.

Das deutsche Strafgesetzbuch beinhaltet mit §86a StGB "Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" und §130 StGB "Volksverhetzung" zwei Paragraphen, die zur Verfolgung rechtsextremistischer und antisemistischer Straftaten vorgesehen sind. Diese Paragraphen sind aber im Hinblick auf die Aktivitäten des "Deutschen Kollegs" oder anderer abstruser Organisationen wie der "Reichsbürgerbewegung" und deren Verwendung von "Reichsführerscheinen" oder Adressen in der "Reichshauptstadt Berlin" nicht einschlägig. Unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit muss solcher Unsinn leider hingenommen werden.

Bzgl. der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und dem Fortbestand des Deutsche Reiches anbei folgende Anmerkungen:

Das vereinigte Deutschland erlangte erst durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12.9.1990 seine volle Souveränität. Die Wiedererlangung dieser Souveränität erfolgte über einen Zeitraum von 45 Jahren in mehreren Stufen. Am 5.6.1945 übernahmen die vier Hauptsiegermächte die "oberste Regierungsgewalt in Deutschland". Es folgte die Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 und der Abschluss des "Deutschlandvertrages" zwischen der BRD und den drei Westmächten in den Jahren 1952/54. Bis zu diesem Vertragsabschluss war die Souveräntät durch das Besatzungsrecht stark beschränkt.
Auch nach Abschluss des "Deutschlandvertrages" existierte ein alliierter Vorbehalt in Bezug auf Berlin, auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiederveinigung und einer friedensvertraglichen Regelung. Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag sind diese Vorbehalte erledigt.

Darüber hinaus verliert gemäß Art. 146 GG das Grundgesetz "[...] seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist." Damit scheint bei philologischer Auslegung das Grundgesetz beseitigt werden zu können, ohne dass irgendwelche verfahrensmäßigen oder materiellen Schranken bestünden. Diese Auslegung ist natürlich falsch - wird aber gern von Extremisten (links wie rechts) so gelesen.

Juristen kennen aber mehr Auslegungsregeln als nur die des Wortlauts. Legt man Art. 146 GG systematisch aus, dann kommt man an Art. 79 GG nicht vorbei. Historisch betrachtet wird aus Art. 5 Eingungsvertrag ersichtlich, dass dem Gesetzgeber nur empfohlen wurde, sich "[...] mit der Frage der Anwendung des Art. 146 GG im Rahmen einer Volksabstimmung" zu befassen.
Abschließend ergibt sich aus teleologischer Auslegung sicher nicht, dass Sinn und Zweck der Regelung in Art. 146 GG sein soll, unser Grundgesetz abzuschaffen.

http://dip.bundestag.de/btd/11/077/1107760.pdf
http://dip.bundestag.de/btd/11/079/1107920.pdf

Mit freundlichen Grüßen,
Niels Annen

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