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Niels Annen
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Frage von Til R. •

Frage an Niels Annen von Til R. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

Keine Cum/Ex-Vermögensabschöpfung

Sie sind mein Bundestagsabgeordneter. Sie müssen mir bitte Folgendes erklären:

Der Bundestag beschließt mit Mehrheit Ihrer großen Koalition („versteckt“ im 2. Corona Steuerhilfegesetz), dass Bereicherung mittels Straftaten (Taterträge, „Beute“) auch nach der Verjährung der Straftat noch abgeschöpft werden kann.

So weit, so gut. Neben diesem § 375a AO hatte das Bundesfinanzministerium in dem Gesetzestext auch einen neuen § 34 EGAO hineingeschrieben. Diese Vorschrift legt fest, dass diese Vorschrift nur für Steueransprüche gilt, die am 1. Juli 2020 noch nicht verjährt waren. Für bereits verjährte Ansprüche aus „Cum/Ex“-Sachverhalten bedeutet das: Die Tatbeute darf einbehalten werden, dem Staat gehen Milliarden verloren.

Haben Sie diesem Gesetz zugestimmt?
Wenn ja: Warum?
Haben Sie vor, diesen Fehler (?) zu korrigieren?
Wenn ja: Wann und wie?

Quelle: https://verfassungsblog.de/heimliche-grosszuegigkeit/

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Roquette,

vielen Dank für Ihre Mail.
Cum Ex-Betrug ist einer der größten Steuerskandale in der deutschen Geschichte. Schätzungen gehen davon aus, dass dem Staat Milliarden Abgeltungssteuer gestohlen wurden. Da ist es nur korrekt, dass der Staat diese hinterzogene, bzw. zu Unrecht erstattete Steuer zurückfordert.
Mit dem Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz haben wir zwei wesentliche Regelungen eingeführt, die Rückforderungen erleichtern.

1. Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfrist
Als ersten Schritt haben wir Juni 2020 ein Gesetz verabschiedet, dass sicherstellen soll, dass für alle Fälle schwerer Steuerhinterziehung (auch Cum Ex), die nach dem 01.Juli 2020 verjähren, trotz Verjährung die hinterzogene Steuer eingezogen werden kann. Gleichzeitig haben wir auch eine Verjährungsfrist bis zu 30 Jahren verlängert.
Dazu wurde in Paragraph 376 AO ein neuer Absatz 3 eingefügt:
„Abweichend von § 78c Absatz 3 Satz 2 des Strafgesetzbuches verjährt in den in § 370 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 bis 6 genannten Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung die Verfolgung spätestens, wenn seit dem in § 78a des Strafgesetzbuches bezeichneten Zeitpunkt das Zweieinhalbfache der gesetzlichen Verjährungsfrist verstrichen ist.“

In Verbindung mit der ebenfalls neuen Einfügung in Paragraph 376 AO Absatz 1, 2. Halbsatz:

„§ 78b Absatz 4 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.“

wird sichergestellt, dass die Ruhensregelung des §78b Absatz 4 StGB auch für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung (und davon sprechen wir bei Cum-Ex) gilt, sodass ab Eröffnung des Hauptverfahrens die Verjährung für einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren ruht.
Durch beide Maßnahmen ist somit eine Verjährungsfrist bis zum Abschluss des ersten Rechtszugs von bis zu 30 Jahren möglich. Die Verjährung ruht überdies auch, solange das Steuerstrafverfahren zur Durchführung eines Besteuerungsverfahrens ausgesetzt ist (§396 AO).

2. Einziehung auch bereits verjährte Steuerforderungen
Um auch im Falle einer Verjährung zu Unrecht erstattete Steuern rechtssicher einziehen zu können, wurde außerdem der Paragraph 375a (Verhältnis zur strafrechtlichen Einziehung) in die Abgabenordnung neu aufgenommen:

„Das Erlöschen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verjährung nach § 47 steht einer Einziehung rechtswidrig erlangter Taterträge nach den §§ 73 bis 73c des Strafgesetzbuches nicht entgegen.“

Zeitgleich wurde auch Artikel 97 Paragraph 34 Einführungsgesetz zur Abgabenordnung neu aufgenommen:

„§ 375a der Abgabenordnung in der Fassung des Artikels 6 des Gesetzes vom 29. Juni 2020 (BGBl. I S. 1512) gilt für alle am 1. Juli 2020 noch nicht verjährten Steueransprüche.“

Mit dieser Anwendungsregelung haben wir aber unsere Zielsetzung, auch bereits vor dem 1. Juli 2020 verjährte Steueranspräche einzuziehen nicht aufgegeben. Diese Regelung wurde in Anbetracht des beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens getroffen. In diesem Verfahren geht es um die Frage, ob eine 2017 eingeführte strafrechtliche Norm zur Vermögensabschöpfung, die auch auf Fälle anwendbar ist, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung eingetreten sind, insoweit gegen das allgemeine rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt. (Das entsprechende Aktenzeichen lautet 2 BvL 8/19.)
Die nun getroffene Regelung schafft nun zunächst Rechtssicherheit bzgl. aller am 1. Juli 2020 noch nicht verjährten Verfahren. Die Anwendungsregelung des Artikel 97 § 34 Einführungsgesetz zur Abgabenordnung ist rein deklaratorisch und entspricht der Regelung des §2 Absatz 5 StGB und schafft damit keinen Vertrauenstatbestand oder eine Vorfestlegung des Gesetzgebers.

3. Weitreichende Regelung im Strafgesetzbuch
Das Bundesfinanzministerium hat mittlerweile zusammen mit dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz eine weitreichendere Regelung ausgearbeitet. Zurzeit befindet sich der Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften in der Ressortabstimmung, in dem eine Änderung im Strafgesetzbuch vorgesehen ist, die u.a. den Regelungsgehalt des §375a AO vollständig abdeckt. Diese Regelung im Einführungsgesetz im Strafgesetzbuch soll auch auf bereits verjährte Fälle angewendet werden- sollte es solche geben. Bisher ist dem Bundesfinanzministerium keiner bekannt.
Alles in allem ist das im Juni verabschiedetet Zweite Corona- Steuerhilfegesetz ein großer Erfolg, um zu Unrecht erstattete Steuern rechtssicher einziehen zu können.

Mit freundlichen Grüßen

Niels Annen

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