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Niels Annen
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Frage von Peter S. •

Frage an Niels Annen von Peter S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Annen,

Sie haben im Spiegel (http://www.spiegel.de/politik/ausland/katalonien-spd-politiker-niels-annen-kritisiert-carles-puigdemont-scharf-a-1176286.html) folgende Aussage getätigt:

"Spanien ist ein demokratischer Rechtsstaat. Die Bürgerinnen und Bürger in Katalonien genießen alle demokratischen Freiheiten und werden nicht unterdrückt"

Nun ist es aber so, dass mehrfach schon die Guardia Civil wegen Folter kritisiert wurde. Neben Amnesty International (siehe z.B. hier: https://www.amnesty.de/jahresbericht/2016/spanien#section-11631), Human Rights Watch (siehe z.B. hier: https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/inneres/strafen/folterverbot/foltervorwuerfe-spanien-nekane-txapartegi) hat sich in der Weise auch der Uno-Beauftragte für Folter geäußert (siehe hier: https://www.nzz.ch/schweiz/wende-im-fall-nekane-txapartegi-ld.1316571 (unten)).

Es gibt dazu auch einen sehr interessanten Artikel auf Telepolis dazu: https://www.heise.de/tp/news/Es-ist-billig-in-Spanien-zu-foltern-1991758.html

Mich interessiert nun, ob Sie von diesen Fällen nichts wussten, oder ob Sie trotzdem der Meinung sind, dass Spanien ein Rechtsstaat ist und wie sie dann die Folter in diesem Zusammenhang einordnen.
Dass das spanische Verfassungsgericht lange Zeit nicht verfassungsgemäß zusammengesetzt war - insbesondere 2010, als es die katalonische Autonomie aufhob, ist noch ein interessantes Detail am Rand (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Spanisches_Verfassungsgericht#Wahlverfahren_und_Amtszeit unten).

Mit freundlichen Grüßen

P. S.

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Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihre Nachricht.

Die Entwicklungen bezüglich der Rechtstaatlichkeit in Spanien – da stimme ich mit Ihnen überein – geben Anlass zur Sorge. Auch ich weiß von Fällen der ungerechtfertigten Einschränkung freier Meinungsäußerung, exzessiver Gewaltanwendung durch Polizeikräfte und Fälle der unzureichenden gerichtlichen Aufarbeitung von Foltervorwürfen. Diese Vorkommnisse sind durch nichts zu rechtfertigen.
Daraus allerdings Spaniens Rechtstaatlichkeit per se anzuzweifeln, halte ich aus zweierlei Hinsicht für verfehlt. Zum einen lassen die Fälle nicht darauf schließen, dass die Einschränkung der Grundrechte strukturell bedingt ist: Festgenommene werden nicht willkürlich durch Sicherheitskräfte festgehalten und systematisch gefoltert sowie Bevölkerungsteile gezielt ausgegrenzt und unterdrückt. Spanien ist kein Unrechtsstaat wie zu Francos Zeit.

Zum anderen erleben wir heute, dass in fast allen EU-Mitgliedstaaten Grund- und bürgerliche Freiheitsrechte eingeschränkt werden, damit die staatlichen Sicherheitsorgane einer erhöhten terroristischen Bedrohungslage effektiver begegnen können (https://www.amnesty.de/2017/1/17/antiterrorgesetze-vielen-eu-staaten-schraenken-grundrechte-ein). Doch legislative Maßnahmen zur Stärkung der Gefahrenabwehr dürfen weder in Spanien, noch in Frankreich oder Deutschland zu einer Aushöhlung von Rechtsstaatlichkeit im Sinne einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Versammlungs-, Meinungs- oder Bewegungsfreiheit in der Praxis führen.

Für die Eskalation des Konflikts in Katalonien habe ich zudem nicht alleine die katalanische Ex-Regierung verantwortlich gemacht. Denn die mangelnde Dialogbereitschaft sowie die zu verurteilende Gewalt seitens der spanischen Zentralregierung in Katalonien haben die nationalistischen Hardliner auf beiden Seiten gestärkt und den Konflikt verschärft.

Daher habe ich in meinem Statement für die Neue Osnabrücker Zeitung (noz) auch kritisch auf die Rolle der Zentralregierung Bezug genommen. Leider hat das folgende Zitat nur in Auszügen in dem von Ihnen angeführten Beitrag bei Spiegel Online Eingang gefunden: „Herr Puigdemont sollte sich der Justiz stellen und sich eingestehen, dass die Politik der katalonischen Ex-Regierung gescheitert ist. Auch wenn es sicher berechtigte Kritik an der mangelnden Sensibilität und Diskussionsbereitschaft der Regierung Rajoy gibt und diese eine Mitverantwortung für die Eskalation trägt, rechtfertigt dies nicht den offenen Bruch der spanischen Verfassung. Spanien ist ein demokratischer Rechtsstaat. Die Bürgerinnen und Bürger in Katalonien genießen alle demokratischen Freiheiten und werden nicht unterdrückt. Die Politik der Unabhängigkeitsbefürworter, dies in Frage zu stellen, oder gar das heutige Spanien mit der Franco-Diktatur gleichzusetzen, ist infam (und eine Beleidigung der Opfer des Franquismus).

Puigdemonts Strategie, die EU für seine verantwortungslose Politik zu instrumentalisieren, hat mit seinem Auftritt in Brüssel einen neuen Höhepunkt erreicht. Dass er damit quasi nebenbei die Stabilität der belgischen Regierung in Gefahr zu bringen droht, dürfte die Sympathien für die katalanische Unabhängigkeit nicht gerade befördern. Zudem fragen sich auch immer mehr Katalanen, warum ihr Präsident erst die Unabhängigkeit ausruft und dann verschwindet. Die konservative Regierung Rajoy kann sich zurecht auf die Unterstützung aus Brüssel und Berlin verlassen. Dennoch sollte auch Madrid einsehen, dass das Beharren auf einer Rechtsposition alleine nicht ausreicht, um das Land wieder zusammenzuführen. Schließlich haben zweieinhalb Millionen Wähler in Katalonien auf die Unabhängigkeit gehofft. Hierfür ist ein Dialog nötig. Brüssel ist dafür jedoch die falsche Adresse.“

Ein Dialog kann nur stattfinden, wenn die Regierung Rajoys und eine neugewählte Regionalregierung eine auf Deeskalation bedachte Politik des Dialogs betreiben. Referenzpunkt hierfür kann ein Autonomiestatut sein, wie es beispielsweise unter Ministerpräsident Zapatero ausgehandelte wurde und das sowohl vom nationalen als auch vom katalanischen Parlament getragen werden müsste.

Ich sehe eine für beide Seiten akzeptable Verhandlungslösung als einzigen Ausweg aus dem Konflikt. Denn andernfalls droht Europa in Kleinstaaterei zu zerfallen. Eine Abspaltung ließe beispielsweise auch Basken, Südtiroler, Korsen,… nach Unabhängigkeit streben und das europäische Friedensprojekt mittelfristig scheitern.

Mit freundlichen Grüßen

Niels Annen, MdB

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