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Niels Annen
SPD
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Frage von Michael W. •

Frage an Niels Annen von Michael W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Annen,

die populistischen Entwicklungen und das Wachstum von AfD und schlimmeren Erscheinungen sind unzweifelhaft darauf zurückzuführen, dass große Teile der Bevölkerung den Eindruck haben, dass man auf sie nicht hört. Dies muss doch den Parlamentariern zu denken geben.
Daher meine Fragen an Sie:
• Wie stehen Sie zur angesetzten Grundgesetzänderung, die im Eilverfahren bereits am 01. Juni beschlossen werden soll?
Die von den Parteien mehrheitlich erteilten Zustimmungen werden mich dann wohl auch dazu bewegen diesen Parteien meine Stimme zu versagen und das Wachstum der Randgruppierungen zu stärken.
• Wären Sie bereit, ernsthaft über bundesweite Volksentscheide nachzudenken?
Was übrigens im Grundgesetz Artikel 20 vorgesehen, aber nicht realisiert worden ist? Absatz 2 besagt: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen UND ABSTIMMUNGEN ... ausgeübt." Realisiert worden ist aber nur die eine Hälfte, das Wahlgesetz. Der von den Vätern des Grundgesetzes in weiser Voraussicht vorgesehene zweite Teil ist bis heute nicht umgesetzt worden.
In verschiedenen Antworten wurde mir gesagt, dass bei vielen Entscheidungen, die auf Bundesebene getroffene werden, aufgrund der Komplexität nicht jeder Bürger das Verständnis habe, sich mit solch komplexen Fragen zu befassen. Sie wissen sicherlich - ich denke da z.B. an die Problematik der Freihandelsabkommen CETA,TTIP und TiSA - dass viele Bürger sich viel intensiver und fachkundiger mit derartigen Fragen befassen können, als ein normaler Abgeordneter. Auch im Bundestag läuft es am Ende auch nur auf ein JA- oder NEIN-in der Entscheidung hinaus.

Mit freundlichen Grüßen
Dipl.-Ing. Michael Wallosek

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Wallosek,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich nehme gerne Stellung zu Ihren Fragen.

1. Der Deutsche Bundestag hat über die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystem ab dem Jahr 2020 abgestimmt. Dafür werden umfangreiche Änderungen des Grundgesetzes notwendig. Im Parlamentarischen Verfahren ist es der SPD-Bundestagsfraktion gelungen, wichtige Änderungen am ursprünglich eingebrachten Gesetzentwurf durchzusetzen. Sachverständige, Gewerkschaften und der Bundesrechnungshof hatten diesen zu Recht kritisiert.

Durch die Neuregelungen erhalten Länder und finanzschwache Kommunen bundesweit jährlich mehr als 10 Milliarden Euro zusätzlich. Hiermit wird unter anderem ein Schulsanierungsprogramm in Höhe von 3,5 Milliarden Euro finanziert. Zudem werden rund eine Million alleinerziehende Eltern und ihre Kinder durch eine Neuregelung des Unterhaltsvorschusses besser abgesichert, wenn das unterhaltspflichtige Elternteil seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Auch die Altersgrenze wird von jetzt 12 auf 18 Jahre angehoben.

Auf der anderen Seite enthält das Gesetzespaket auf Druck von CDU und CSU die sogenannte Verkehrsinfrastrukturgesellschaft. Ab dem Jahr 2021 sollen Bau, Planung und Verwaltung der Autobahnen und Bundesstraßen neu organisiert werden. Das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium wollte ursprünglich Banken, Versicherungskonzerne und andere institutionelle Investoren umfangreich an der Finanzierung von Autobahnen beteiligen. Damit stand die Privatisierung der Autobahnen wie z.B. in Frankreich im Raum. Dem hat die SPD-Fraktion in den Verhandlungen einen Riegel vorgeschoben. Die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Privater an der Gesellschaft und deren Tochtergesellschaften werden jetzt ausdrücklich ausgeschlossen.

Im Rahmen dieser Debatte wurden auch sogenannte Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) problematisiert. ÖPPs sind aber keine neue Erfindung. Es gibt sie bereits auf kommunaler Ebene ebenso wie auf Landes- und Bundesebene. Persönlich halte ich nicht von diesen ÖPPs. Ich glaube erstens nicht, dass Private besser und billiger als staatliche Akteure sind und zweites bin ich der festen Überzeugung, dass Einrichtungen der Daseinsvorsorge in der Öffentlichen Hand verbleiben.

Mit der aktuellen Grundgesetzänderung werden Öffentlich-Private Partnerschaften für ganze Streckennetze oder wesentliche Teile des Bundesfernstraßennetzes explizit ausgeschlossen. Damit wird im Grundgesetz selbst ein klares Zeichen gegen die Ausweitung von ÖPP gesetzt. Diese Regelung ist neu. Denn bisher gab es keinerlei Regelung in Sachen ÖPP.

Natürlich hätte ich mir eine noch weitergehendere Regelung gewünscht. Dies war jedoch mit der CDU/CSU-Fraktion leider nicht möglich. Ein völliger Ausschluss von ÖPP im Grundgesetz, der einer zweidrittel Mehrheit in Bundestag und Bundesrat bedarf, war in der bestehenden Koalition schlicht und ergreifend nicht realisierbar.

Den Umfang der ÖPP-Möglichkeiten regelt jetzt also ein einfaches Gesetz. Maximal sollen es 100 Kilometer sein. Ich glaube, dass davon in der Praxis wenig Gebrauch gemacht werden wird, da sich kleine Abschnitte für private Investoren nicht lohnen.
Und natürlich kann dieses Gesetz nach der Bundestagswahl im September geändert werden. Die SPD will die Ausweitung von ÖPPs verhindern, Union und Liberale wollen mehr ÖPPs ermöglichen. Es macht also schon einen Unterschied, wen man am 24. September wählt. Und wer gegen Privatisierungen – ob nun bei Autobahnen oder anderswo – ist, sollte sowie eher SPD als schwarz-gelb wählen.

Insgesamt betrachtet sehe ich in der Abstimmung mehr Vorteile als Nachteile für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Länder und finanzschwache Kommunen werden bundesweit mit 10 Milliarden Euro jährlich besser finanziell ausgestattet. Rund eine Million Alleinerziehende und ihre Kinder profitieren davon. Deshalb habe ich – trotz Verkehrsinfrastrukturgesellschaft und den möglichen 100 Kilometern ÖPP – für die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems gestimmt.

2. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte bereits 1993, im Anschluss an die Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission, einen Gesetzentwurf eingebracht, um einen Volksentscheid auf Bundesebene zu ermöglichen (Bundestagsdrucksache 12/6323). Die für eine Verfassungsänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat kam aber schon im Bundestag nicht zustande, weil sich die CDU/CSU-Fraktion dagegen sperrte.

Im Jahr 2002 hatten wir zusammen mit dem damaligen Koalitionspartner erneut einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Bundestagsdrucksache 14/8503) eingebracht, der wiederum erfolglos blieb. Wir haben das Vorhaben trotzdem nicht aufgegeben, sondern im Wahlmanifest der SPD zur Bundestagswahl 2005 bekannt: „Wir brauchen mehr direkte Demokratie und damit den Volksentscheid.“ Im Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU konnte 2005 leider nur vereinbart werden: „Die Einführung von Elementen der direkten Demokratie werden wir prüfen.“ Die CDU/CSU-Fraktion hielt aber bis zuletzt an ihrer überkommenen Auffassung fest, weshalb das Vorhaben in der Großen Koalition 2005-2009 erneut zum Scheitern verurteilt war.

Das Hamburger Parteiprogramm der SPD von 2007 bekräftigt: „Der Verbindung von aktivierendem Staat und aktiver Zivilgesellschaft dient auch die direkte Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger durch Volksbegehren und Volksentscheide. In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen sie die parlamentarische Demokratie ergänzen, und zwar nicht nur in Gemeinden und Ländern, sondern auch im Bund.“

Das Regierungsprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2009 enthielt die Aussage: "Direkte Demokratie. Wir wollen Volksbegehren und Volksentscheide auch auf Bundesebene ermöglichen und dabei die Erfahrungen in den Ländern berücksichtigen."

Der SPD-Bundesparteitag 2011 hat in einem umfangreichen Beschluss „Mehr Demokratie leben“ die Forderung bestätigt, die parlamentarische Demokratie durch Elemente direkter Demokratie zu ergänzen. Auf dieser Grundlage hat die SPD-Bundestagsfraktion Entwürfe für eine Grundgesetzänderung und erstmals auch für ein Bundesabstimmungsgesetz erarbeitet und im Frühjahr 2013 in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksachen 17/13873 und 17/13874).

Nachdem bei der Bundestagswahl 2013 CDU und CSU zusammen 41,5 Prozent der gültigen Stimmen erreicht hatten gegenüber 25,7 Prozent für die SPD war es bei den Koalitionsverhandlungen nicht möglich, die noch immer in der CDU tief verwurzelte Abneigung gegenüber Elementen direkter Demokratie zu überwinden. Ein Versuch, über die insoweit etwas offenere CSU auf die CDU einzuwirken, hatte leider keinen Erfolg. Die Koalition daran scheitern zu lassen, wäre nicht verantwortbar gewesen, weil wir insgesamt viel erreicht haben. Außerdem hätte eine, dann wahrscheinliche schwarz-grüne Koalition mit einem viel stärkeren Übergewichts von CDU und CSU in diesem Punkt auch keinen Fortschritt erbracht.

Wir werden weiter für Elemente direkter Demokratie werben, letztlich aber wird es darauf ankommen, dass die, in der Gesellschaft bereits verbreitete Zustimmung dazu auch die CDU erfasst.

Mit freundlichen Grüßen
Niels Annen

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