Chatkontrolle - anlasslose Massenüberwachung ?
Sehr geehrte Frau Beer,
ich lese gerade dass unsere Bundesregierung in der EU für eine anlasslose Kontrolle aller Chats stimmen wird.
Ehrlich gesagt beunruhigt mich das zu tiefst. Gerade wir in Deutschland sollten doch wissen, dass so ein Werkzeug in den falschen Händen tödlich sein kann. Und wer von uns kann schon sagen, ob die falschen Hände so weit weg sind - siehe Italien, Polen, Ungarn, Griechenland und irgendwann Frankreich?
Meinen Sie nicht auch, dass unere Strafverfolger zum Schutz der Kinder zuerst eimal alle vorhandenen Mittel ausschöpfen sollten? Hier in Deutschland schon alleine nach der Lektüre der Zeitung fall mir viele Verbesserungsmöglichkeiten auf ...
Abseits der Strafverfolgung bin ich mir sicher, dass vor allem meine digitale Sicherheit unter diesem Vorhaben leiden wird. Meine Bankdaten, meine Gesundheitsdaten, mein digitales Leben.
Wie stehen Sie zu der Frage einer anlasslosen Chatkontrolle?
Viele Grüße
Michael J.
Sehr geehrter Herr J.
danke für Ihr Interesse an diesem äußerst wichtigen Thema, zu dem ich gerne Stellung beziehe. Wir als FDP-Delegation im Europäischen Parlament und ich persönlich als Politikerin, die den Schutz der individuellen Bürgerrechte als eines der höchsten Güter ansieht, lehnen diesen Vorschlag der Kommission zur anlasslosen Chatkontrolle ab. Meine Sichtweise wird dabei nicht nur von meiner liberalen Weltanschauung gestützt, sondern auch durch eine Studie des wissenschaftlichen Dienstes des Europaparlaments, in Auftrag gegeben von meinem FDP- Kollegen Moritz Körner.
Nach Einschätzung der Experten besitzen die geplanten Maßnahmen nur eine begrenzte Wirksamkeit. Diese begründen ihre These unter anderem mit einem zu erwartenden Effektivitätsverlust. So wären sowohl die technischen Systeme als auch die Strafverfolgungsbehörden aufgrund des ausufernden Datenflusses überfordert. Zudem analysierten die Forscher und Forscherinnen, dass es mit dem Dark und Deep Web einfach Umgehungsmethoden gäbe, welche von der Kommission jedoch unbeachtet bleiben.
Als wohl schwerwiegendstes Gegenargument identifiziert die Studie jedoch die empfindlichen Rechtsverletzungen. So würden die Ansätze vor allem Artikel 7 (Achtung des Privat- und Familienlebens) und Artikel 8 (Schutz personenbezogener Daten) der Grundrechtecharta der EU verletzen. Mit dem KI-gesteuertem Durchleuchten von End-zu-End-verschlüsselten Nachrichten würde zudem gegen die gesetzlichen Regelungen der Vorratsdatenspeicherung und des Briefgeheimnisses verstoßen werden. Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte hat „ernsthafte Zweifel im Hinblick auf die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit“ der Maßnahmen geäußert.
Als freidemokratische Politikerin bin ich zutiefst besorgt über die zunehmende Tendenz zu Chatkontrolle. Ich glaube, dass eine offene und freie Gesellschaft nicht durch Massenüberwachung und die Einschränkung der Privatsphäre ihrer Bürger und Bürgerinnen erreicht werden kann. Diese Praktiken sind allen Anscheines nach nicht nur ineffektiv, sondern auch eine Verletzung unserer grundlegenden bürgerlichen Freiheiten und Menschenrechte. Es ist wichtig, dass wir uns dafür einsetzen, dass unsere Gesellschaft auf Vertrauen sowie intelligente Lösungen und nicht auf Kontrolle und Überwachung aufgebaut ist. Wir müssen uns auf zielgerichtete Maßnahmen konzentrieren, die unsere Sicherheit gewährleisten, ohne unsere Freiheit zu beeinträchtigen. Wir dürfen unsere Freiheit nicht gegen die Forderung nach Sicherheit aufwiegen, sondern müssen eine Balance zwischen beiden finden. Nicht jeder Zweck heiligt die Mittel. Daher bin ich froh, dass die am 14.11. im Innenausschuss abgestimmte und bestätigte Parlamentsposition die von der Kommission vorgesehene Chatkontrolle klar streicht.
Weiterhin lehnen wir Freidemokraten sowie auch die Ampel-Regierung in Deutschland allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht klar ab - das ist auch im Koalitionsvertrag verankert.
Ich bedanke mich somit für Ihre Zustimmung. Nur gemeinsam können wir die Pläne der Kommission noch verhindern. Nehmen Sie Ihre Rolle als gesellschaftlicher Akteur deshalb auch weiterhin ernst, und animieren Sie Ihre Mitmenschen als auch andere Politiker, Petitionen zu unterschreiben und gegen die grundrechtswidrigen Planungen der Kommission vorzugehen. Wir FDP-Abgeordnete im Parlament werden mit konstruktiven Vorschlägen bis zur finalen Abstimmung alles Mögliche versuchen, um die Kommission davon zu überzeugen, dass es einen besseren Weg hin zu mehr Schutz aller gibt, ohne die Grundrechte des Einzelnen einzuschränken.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Nicola Beer