Ist das FDP-Bundestagsfraktion Gutachten zum Tempolimit fehlerhaft?
Sehr geehrte Frau Beer,
vielen Dank für Ihre Antwort unter [abgeordnetenwatch.de URL gekürzt]
Laut dem Umweltbundesamt kommen die Expertinnen und Experten nicht aus der Grünen- oder Umweltecke und 5,6 Millionen Tonnen CO2 werden unterschlagen.
Wieso setzen Sie ihr Kurzgutachten mit wissenschaftlichen Erkentnissen gleich? Was sagen Sie zu dem Argument, dass quasi alle Staaten weltweit zur Sicherung von Leben ein Tempolimit haben?
Es gab auch zuletzt ein Gutachten (Versichererverband Unfallforschung), dass besagt, dass Aggression im Straßenverkehr zunimmt. Das FDP Verkhersministerium verfehlt gerade auch grandios die Klima-Überlebensziele.
Rein logisch kann ich ihrer Argumentation also nicht folgen, bitte teilen Sie mir nochmal rational begründet mit, warum sie tatsächlich gegen ein Tempolimit sind.
Vielen Dank
Sehr geehrter Herr B.
Vielen Dank für Ihre Frage. Zunächst einmal scheint es wichtig, die Auswirkungen des Tempolimits auf die Verkehrssicherheit und dessen Einfluss auf den Klimaschutz separat zu betrachten. Denn abhängig davon, worauf man den Fokus legt, gibt es unterschiedliche Argumente, die für oder gegen die Forderung sprechen.
1) Effekte für den Klimaschutz: Vergleich der UBA Studie mit dem Kurzgutachten im Auftrag der FDP
Tatsächlich ist das Kurzgutachten keine eigenständige wissenschaftliche Ausarbeitung, die selbst Daten erhebt und untersucht. Allerdings ist es in der wissenschaftlichen Praxis durchaus üblich, auf bereits erzeugte Studien zu reagieren, indem man die verwendete Methodik und die Ergebnisse kritisch hinterfragt. Ein Beispiel für die in dem Kurzgutachten angeführten Kritikpunkte ist, dass die UBA-Studie Verkehrsdaten von TomTom einbezieht, die nur 15% des tatsächlichen Verkehrsgeschehens abdecken. Somit ist die durchgeführte Hochrechnung äußerst fehleranfällig - wie auch die Gutachter selbst einräumen. Solche Feinheiten bieten Anlass, die in der UBA getroffenen Aussagen generell mit Vorsicht zu genießen und weitere Analysen - wie das genannte Kurzgutachten - hinzuzuziehen.
Um die Effektivität von Maßnahmen wie dem Tempolimit angemessen einzuschätzen, ist es außerdem wichtig, immer auch Alternativen zur in Frage stehenden Maßnahme in den Blick zu nehmen. Daran mangelt es der Ausarbeitung des UBA und kommt so zu einer übermäßig positiven Beurteilung eines generellen Tempolimits. Im Vergleich zu anderen Modellen, insbesondere der Ausweitung des Emissionshandels auf den Straßenverkehrssektor, ist die Einführung eines generellen Tempolimits aber laut dem Kurzgutachten nur eine suboptimale Lösung. Dazu kommt dessen hemmende Wirkung für technologische Innovationen. Beispielsweise im Hinblick auf E-Mobilität käme es zu einer unangemessenen Freiheitseinschränkung, wenn auch diejenigen langsamer fahren müssten, die gar nicht am CO2-Ausstoß beteiligt sind. Dies beeinflusst auch die Initiative für eine umweltbewusstere Kaufentscheidung und im langfristigen Ergebnis Unternehmensstrategien.
2) Effekte für die Verkehrssicherheit: Tempolimit zur Sicherung von Leben
Es stimmt, dass die meisten Unfälle mit Personenschaden auf Autobahnen durch unangemessene Geschwindigkeiten verursacht werden. Allerdings erfassen diese Statistiken nicht, in welchen Abschnitten der Autobahn zu schnell gefahren wurde und ob es dort ein Tempolimit gab. Weiterhin gilt für Deutschland, dass auf Landstraßen und in Ortschaften bisher deutlich mehr Unfälle zu beklagen sind als auf Autobahnen. Im Übrigen liegt die Gefahr hoher Geschwindigkeiten vorrangig in einem unverantwortlichen Umgang mit und nicht an dem Tempo generell. In diesem Zusammenhang erwähnen Sie zurecht die aktuelle Studie des UVD.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die von Ihnen aufgeführten wissenschaftlichen Untersuchungen zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Effektivität eines Tempolimits kommen. Dass „die“ Wissenschaft und die jeweiligen Experten also auch nicht die „eine“ Wahrheit und damit die eine Handlungsempfehlung präsentieren können, zeigt auf, dass die Frage, ob ein Tempolimit eingeführt werden soll oder nicht, nicht nur auf sachlicher Ebene bewertet werden kann, sondern auch wertebezogene Aspekte berücksichtigt werden müssen.
Wir als Freie Demokraten schätzen die individuelle Freiheit unter der Prämisse des verantwortungsbewussten Handelns und der Technologieoffenheit zu Gunsten von Innovationen sehr hoch. Gepaart mit den oben dargelegten sachlichen Argumenten lehnen wir daher ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen - insbesondere als Instrument zur CO2-Emmissionsminderung - ab.
Mit freundlichen Grüßen
Nicola Beer
Quellen:
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/scheuer-faktencheck-101.html