Frage an Monika Lazar von Daniel S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
sehr geehrte frau lazar,
die abstimmung bzgl des ESM steht zeitnah an.
laut meinen informationen kratzt dieser vertrag an grundsaetzlichkeiten der hiesigen demokratie - ua dem haushaltsrecht.
die wirkweise des esm entspricht auch nicht unbedingt dem, was man landlaeufig als demokratisch bezeichnen koennte. (gouverneursrat: nicht gewaehlt, komplette immunitaet, darf sein gehalt selber bestimmen; automatische zahlungsmechanismen ohne parlamentarische kontrolle; mittelbarer eingriff in die politik der mitgliedsstaaten)
glauben sie das der esm das grundproblem des euros (zu unterschiedlich starke volkswirtschaften) ueberhaupt beseitigen kann?
und wenn ja, wie?
was ist mit der hiesigen schuldenbremse?
wo sollen die mittel herkommen/ eingespart werden die fuer die (vermeintliche) stabilitaet einer waehrung bereit gestellt werden muessen?
mfg
ds
Sehr geehrter Herr Seidel,
danke für Ihre Fragen zu einem brisanten, mit vielen Befürchtungen verknüpften Thema.
Wir müssen realistisch analysieren, wodurch die Zukunftsfähigkeit Deutschlands langfristig stärker bedroht wird: von wirtschaftlicher und finanztechnischer Abschottung oder von der Solidarität bei der Sicherung einer funktionsfähigen europäischen Wirtschaftszone. Meiner Auffassung nach ist ein starkes Europa gut für unser Land. Alle anderen (angstgesteuerten) Wege führen in eine Sackgasse.
Die Ereignisse in der Eurozone stellen uns alle vor enorme Herausforderungen. Einige davon klingen in Ihren Fragen an. Sie schreiben von unterschiedlich starken Volkswirtschaften, welche eine Eurokrise verursacht hätten. Meiner Ansicht nach lassen sich jedoch heutzutage die Volkswirtschaften der einzelnen Länder gar nicht mehr so schematisch auseinanderdividieren. Die momentane Situation verdeutlicht vielmehr, wie sehr die Volkswirtschaften Europas miteinander verflochten sind. Deutschland hat von der gemeinsamen Währung und dem gemeinsamen Binnenmarkt bislang stark profitiert. Wir wollen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird und engagieren uns deshalb für eine solide, realistische und nachhaltige Lösung zur Überwindung der Eurokrise.
In der Einrichtung des dauerhaften Rettungsschirms ESM sehen wir einen zentralen Baustein für die dauerhafte Stabilisierung der Euro-Zone. Wir halten es für notwendig, ein stabiles und glaubwürdiges Instrument zu schaffen, mit dem Euro-Staaten geholfen werden kann, die sich in einer Notlage befinden und am Markt keine bezahlbaren Kredite mehr bekommen. Ohne ein solches Instrument kann die Schieflage eines einzelnen Mitgliedstaates schnell zu einem Problem der gesamten Euro-Zone werden. Zudem ist ein handlungsfähiger ESM auch ein wichtiges Zeichen gegenüber den Finanzmärkten. Die Euro-Staaten machen damit deutlich, dass sich die Spekulation gegen einzelne Euro-Staaten nicht lohnt.
Das Begleitgesetz zum ESM wird in seinen Einzelheiten in den nächsten Monaten beraten. Die grüne Bundestagsfraktion wird sich intensiv an dem Prozess beteiligen und setzt sich für eine starke Beteiligung des Deutschen Bundestags ein, wie sie auch kürzlich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil gefordert hat.
Wie unterstützen den ESM, weil er ein zentrales Prinzip beinhaltet: Es gibt nur Hilfe gegen Auflagen. Diese Konditionierung bedeutet: Der ESM greift nur ein, wenn die hilfebedürftigen Mitgliedsstaaten vorab getroffene Vereinbarungen auch sicher einhalten. Außerdem werden die Kredite nur dann vergeben, wenn der Empfänger seine Schulden auch tatsächlich tragen kann. Das wird in einer sogenannten Schuldentragfähigkeitsanalyse überprüft.
Überdies steht die Gewährleistungshöhe fest. Ein Fass ohne Boden ist der ESM auch deswegen nicht, weil die Summe der deutschen Gewährleistungen klar begrenzt ist. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag und sie kann nicht überschritten werden. Insofern gibt es auch Vorkehrungen, damit die Schuldenbremse weiterhin funktioniert.
Im Gegensatz zur Koalition bekennen wir uns eindeutig dazu, dass ohne gemeinsame Gewährleistungen ein Ausweg aus der Krise nicht möglich ist. Die Koalition hat mit ihrem zögerlichen Verhalten bisher nur erreicht, dass der größte Teil der Krisenstrategie momentan durch die EZB ausgeführt wird. Dadurch werden de facto Risiken aus den Nationalen Haushalten auf die EZB verlagert. Hinter der EZB stehen am Ende jedoch dieselben europäischen Steuerzahler. Die Risiken bei der EZB übersteigen mittlerweile das Volumen des ESM bei weitem. Somit ist die Bundesregierung nicht ehrlich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, wenn sie behauptet, sie sei gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden. Diese gibt es bereits.
Deutschland allein hat in einer globalisierten Welt auf Dauer kein Gewicht – um politischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen brauchen wir eine handlungsfähige und starke Europäische Union.
Der ESM kann aber nur ein Baustein hin zu einer krisenfesten finanz-, haushalts- und wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit in der EU sein. Gleichzeitig brauchen wir einen starken Stabilitäts- und Wachstumspakt mit klaren Regeln zur Vermeidung von übermäßiger Verschuldung, eine Wirtschafts- und Solidarunion, die Fehlentwicklungen in einzelnen Staaten und somit wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen den Euro-Staaten frühzeitig erkennt sowie eine Kultur finanzpolitischer Verantwortung. Dafür muss sich die Bundesregierung in Brüssel einsetzen – ohne Wenn und Aber.
Viele Grüße
Monika Lazar