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Minka Dott
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Frage von Jörg W. •

Frage an Minka Dott von Jörg W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Minka Dott

Im Programm ihrer Partei steht, dass die Arbeitsmarktpolitik stärker auf die Wiedereingliederung niedrigqualifizierter Migrantinnen und Migranten ausgerichtet werden soll. Was ist darunter konkret zu verstehen? Sollen Arbeitgeber verpflichtet werden, statt niedrigqualifizierter deutscher Arbeitnehmer niedrigqualifizierte Ausländer einzustellen ?

Ihre Partei strebt eine weitere interkulturelle Öffnung der Verwaltung an. Seit Jahren wird in der öffentlichen Verwaltung Personal abgebaut, frei werdende Stellen werden nicht mehr oder mit Mitarbeitern aus dem Überhang besetzt. Wenn in der Verwaltung nun Ausländer eingestellt werden, findet dann nicht eine Ungleichbehandlung gegenüber Deutschen statt ?

Dann möchte ihre Partei noch folgendes: Es sollen alle rechtlichen Möglichkeiten genutzt werden, um langjährig hier lebenden Flüchtlingen und Geduldeten eine Perspektive zu geben. Dadurch werden weitere Ausländer angelockt. Wer wird das bezahlen ? Wie hoch werden die Integrationskosten in Euro sein ?

Mit freundlichen Grüßen

Jörg Walter

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Antwort von
DIE LINKE

> Sehr geehrte Frau Minka Dott,

Sehr geehrter Herr Walter,
herzlichen Dank für Ihre Fragen. Urlaubsbedingt hat es mit der Antwort etwas gedauert, auch lässt sich diese koplizierte Thematik nicht mit wenigen lapidaren Worten erklären.
Ich hoffe auf Ihr Verständnis, mit freundlichen Grüssen, Minka Dott.

> Im Programm ihrer Partei steht, dass die Arbeitsmarktpolitik stärker auf
> die Wiedereingliederung niedrigqualifizierter Migrantinnen und Migranten
> ausgerichtet werden soll. Was ist darunter konkret zu verstehen? Sollen
> Arbeitgeber verpflichtet werden, statt niedrigqualifizierter deutscher
> Arbeitnehmer niedrigqualifizierte Ausländer einzustellen ?

Der Bedarf an Arbeitskräften in der BRD wurde ab Mitte der fünfziger Jahre bis zum Jahr 1973 mit der Anwerbung meist niedrigqualifizierter Migrantinnen und Migranten aus dem Mittelmeerraum gedeckt. Die angeworbenen Arbeitskräfte sollten nur zeitweise in der BRD arbeiten und entsprechend rechtlos bleiben. So war auch das Ausländerrecht ausgerichtet. Integrationsmaßnahmen waren nicht vorgesehen, um gar nicht erst Voraussetzungen für eine dauerhafte Niederlassung zu schaffen. In der Realität schlug aber dieses „Gastarbeitersystem“ fehl.

Der Effekt dieser verfehlten und diskriminierenden Politik wird durch einen Blick auf den Bildungs- und Arbeitsmarkt deutlich sichtbar: zu den Niedrigqualifizierten gehören überwiegend Migrantinnen und Migranten. Meist mit Hauptschulabschluss, viele ohne berufliche Ausbildung gehören sie zu denjenigen, die überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Das Fehlen eines festen Einkommens und einer Beschäftigung hat vor allem soziale Isolation und Desintegration zur Folge.

Grundsätzlich wollen wir als Linkspartei.PDS die Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten, die auch bei Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft trotz gleicher Qualifikation oft benachteiligt werden, abschaffen. Da es sich um Menschen handelt, die ihren Lebensmittelpunkt in Berlin gewählt haben, sind sie Bürgerinnen und Bürger, denen unabhängig ihrer Herkunft gleiche Rechte zustehen. Bürgerrechte lassen sich nicht aus der ethnischen oder sozialen Herkunft ableiten, sondern aus universellen und unteilbaren Menschenrechten und basieren auf dem Prinzip der politischen Gleichheit. Davon lassen wir uns auch bei der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik hinsichtlich anderer niedrigqualifizierter Berlinerinnen und Berliner leiten.

> Ihre Partei strebt eine weitere interkulturelle Öffnung der Verwaltung
> an. Seit Jahren wird in der öffentlichen Verwaltung Personal abgebaut,
> frei werdende Stellen werden nicht mehr oder mit Mitarbeitern aus dem
> Überhang besetzt. Wenn in der Verwaltung nun Ausländer eingestellt werden,
> findet dann nicht eine Ungleichbehandlung gegenüber Deutschen statt ?

Bei 600.000 EinwohnerInnen mit Migrationshintergrund, ca. 18% der Wohnbevölkerung Berlins, darunter 450.900 Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, treten Migrantinnen und Migranten auch als Nachfrager/innen staatlicher und kommunaler Dienstleistungen auf. Ihre Identifikation mit dem Land wird wesentlich von der Anwendung des geltenden Rechts vor Ort geprägt. Dem Umgang mit Behörden im Alltag kommt in der Wahrnehmung der Betroffenen eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung zu. Auch die in den Verwaltungen angestrebte größere „Kundenorientierung“ gebietet es, sich auf dieses Klientel einzustellen. Bezirkliche Migrationsbeiräte, Integrations- und Migrationsbeauftragte etc. können die Mitarbeiter von Behörden im Umgang mit MigrantInnen beraten, muttersprachliche Vermittler/innen den Betroffenen bei den Behördengängen behilflich sein. Daneben sollen vom Land Berlin und den Bezirken aber auch verstärkt junge Migrantinnen und Migranten ausgebildet und eingestellt sowie Bewerber/innen in das Beamtenverhältnis berufen werden. Dies dient auch der Förderung sprachlicher Kompetenz der Verwaltung insgesamt.

Ziel der Linkspartei.PDS ist eine zukunftsorientierte Anpassung von sozialen Institutionen und Dienstleistungen an die veränderte Bevölkerungszusammensetzung der letzten Jahre, zur Sicherung des sozialen Friedens und des demokratischen Miteinanders aller Bevölkerungsgruppen und der Entwicklung einer bedarfs- und flächendeckenden Integrationsstruktur. Deshalb fordern wir,gemessen am Bevölkerungsanteil, die Erhöhung des Anteils von Beschäftigten mit Migrationshintergrund im Öffentlichen Dienst.
Wie unter 1.) bereits angeführt geht es dabei gerade nicht um eine Ungleichbehandlung, sondern um die Gleichbehandlung hier lebender Menschen.

> Dann möchte ihre Partei noch folgendes: Es sollen alle rechtlichen
> Möglichkeiten genutzt werden, um langjährig hier lebenden Flüchtlingen und
> Geduldeten eine Perspektive zu geben. Dadurch werden weitere Ausländer
> angelockt. Wer wird das bezahlen ? Wie hoch werden die Integrationskosten
> in Euro sein ?

Wir übersehen nicht, dass es im Wesentlichen die Industriestaaten (nicht zuletzt Deutschland) sind, die im großen Maßstab die ökonomischen, sozialen und ökologischen Kosten ihres Entwicklungsmodells in die Länder der Dritten Welt exportieren und damit die Kluft zwischen den ökonomischen Zentren und der Peripherie vertiefen. Die eigene Verantwortlichkeit an der daraus resultierenden Ungerechtigkeit nehmen wir zum Anlass, Flucht und Migration kontextbezogen zu betrachten. Das bedeutet, dass wir uns gegen die Abschottung der EU-Staaten , gegen den Ausbau der EU zur „Festung Europa“ wenden. Wir setzen uns gegen die strukturelle (rassistische) Diskriminierung und „Sonderrechte“ für Menschen mittels des Zuwanderungsgesetzes, gegen die faktische Abschaffung des Asylrechts, das Arbeitsverbot für Flüchtlinge etc. ein.

Die Ansätze in der Berliner Flüchtlingspolitik müssen deshalb aus Sicht der Linkspartei.PDS im Interesse der in Unsicherheit lebenden betroffenen Flüchtlinge erweitert werden. Mit einer großzügigen Bleiberechtsregelung wäre für die langjährig geduldeten Flüchtlinge in Berlin endlich eine Perspektive verbunden. Ihrer bereits vollzogenen sozialen Integration muss eine aufenthaltsrechtliche Absicherung folgen.

Das am 1.01.2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz hat leider keine Bleiberechtsregelung für diejenigen Migrantinnen und Migranten vorgesehen, die bereits langjährig als „Geduldete“ in Deutschland leben. Nach wie vor bleibt ihnen eine sichere Zukunftsperspektive verwehrt. Die Linkspartei.PDS unterstützt deshalb den Flüchtlingsrat, PRO ASYL u. a. bei ihrer Forderung an den Deutschen Bundestag, sich endlich für eine gesetzliche Bleiberechtsregelung einzusetzen.

Für mich stehen Menschenrechte im Übrigen nicht unter dem Finanzierungsvorbehalt.