Frage an Michael Hennrich von Hans H. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Hennrich,
Die Formulierung des Begriffs Organspendegesetz im Zusammenhang mit Widerpruchlösung ist meines Erachtens irreführend und benennt nicht den Kern der Ermächtigung. Es geht nicht um eine Spende (freiwillige, wohltätige Zuwendung unter Lebenden), sondern um eine Verpflichtung und nicht um ein Organ wie z.B. die Leber, sondern - nach den mir vorliegenden Informationen - um den ganzen Körper mit all seinen Gewebebestandteilen wie z.B. Knochenmehl.
Für Bürgerinnen und Bürger klar nachvollziehbar und verständlich wäre eine kurze und prägnante Formulierung wie: "Rechtliche Grundlage für das - auch vollständige - Zerlegen eines lebenden Körpers von Patientinnen und Patienten inklusive Portionierung in Einzelteile zum Zwecke der Verteilung an andere Patientinnen und Patienten, soweit kein Widerspruch den Explantationsärzten bekannt ist oder gefunden werden kann oder Angehörige ihre Zustimmung hierzu erteilen."
Meine Fragen:
Werden Sie diese begriffliche Aufklärung, zusammen mit Bildern und Beschreibungen der sogenannten Explantation, in den Medien (Funk, Fernsehen, Print,..) vornehmen?
Werden Sie nachgelagert an diese Aufklärungskampagne in Ihrer Funktion als Mitglied des Gesundheitsausschusses, eine breite gesellschaftliche Diskussion zu dieser Aufklärung umfassend initiieren und persönlich in Ihrem Wahlkreis moderieren und begleiten?
Sehr geehrter Herr Handel,
vielen Dank für Ihre Frage.
Auch ich befürworte die Widerspruchslösung nicht. Ich sehe darin die große Gefahr, dass der Mensch damit zum Objekt gemacht würde. Die Menschenwürde und die Selbstbestimmung gelten nach auch für den Moment des Sterbens und darüber hinaus. Sollte jeder gezwungen werden, seine Organe zur Verfügung stellen, auch wenn er sich mit der Frage gar nicht befasst hat oder - noch schlimmer - wenn die Widerspruchserklärung in der Patientenverfügung zwar abgegeben wurde, im entsprechenden Moment nicht vorliegt, wären wir vom "Ersatzteillager Mensch" nicht mehr weit entfernt. Schließlich habe ich ein sehr großes Vertrauen in unsere Ärzte. Aber auch damit ihre Entscheidungen z.B. über lebenserhaltende Maßnahmen nicht dem Verdacht ausgesetzt werden, dass sie in die eine oder andere Richtung dahingehend getroffen wurden, um Organe für andere Patienten zu generieren, spreche ich mich für eine modifizierte Zustimmungslösung aus.
Modifiziert nenne ich die von mir präferierte Lösung deshalb, weil ich der Überzeugung bin, dass wir das aktuell herrschende Modell weiterentwickeln sollten. Nicht nur braucht es Kampagnen, die die Menschen besser über Organspende informieren und sie zur Zustimmung motivieren. Vielmehr bin ich der Überzeugung, dass ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden sollte: Demnach sollen die Menschen, die sich bereits im Vorfeld des konkreten Bedarfs nach einem Spenderorgan auf eine Organspenderliste setzen lassen, im Bedarfsfalle einen Bonus für eine bessere Platzierung auf den entsprechenden Wartelisten erhalten.
Ich sehe der nun begonnen Diskussion offen und neugierig entgegen. Wir können davon ausgehen, dass es sich um eine Gewissensentscheidung h.t, bei der jeder Abgeordnete nicht entsprechend der Mehrheitslinie seiner Fraktion abstimmt, sondern vollständig unabhängig nach dem Austausch mit den Menschen in seinem Wahlkreis entscheidet. Bereits in der Vergangenheit durften wir in ähnlichen Fällen wahre Sternstunden des Parlaments erleben, in denen über Fraktionsgrenzen hinweg ein der Wichtigkeit der beh.ten Fragen angemessener Sachaustausch stattgefunden hat.
Die nun angestoßene Diskussion über die Widerspruchslösung verstellt leider den Blick auf die eigentlichen Probleme bei der Organspende, die wir heute in den Kliniken haben. Die bisherigen Strukturen der Zusammenarbeit und des Personals ist nicht so, dass wir ein optimales Umfeld für Organspenden haben. Das Beispiel Spanien zeigt, dass in den ersten Jahren die bloße Einführung einer Widerspruchslösung die Transplantationszahlen nicht wesentlich erhöht hat. Erst die flächendeckende konzertierte Einführung von besserer Organisation und Kommunikation hat dazu geführt, dass auch die Anzahl der Transplantationen auf das heutige Rekordniveau gestiegen ist. Insofern bin ich sehr froh, dass Jens Spahn neben seinem weitergehenden Vorschlag den Entwurf eines "Gesetzes für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende" vorgelegt hat. Ich gehe davon aus, dass wir damit unabhängig von den weiteren Fragen viel für die Erhöhung der Transplantationszahlen in Deutschland tun können.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Hennrich MdB