Frage an Michael Hennrich von Gerda M. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Henrich,
im Bereich des Kinderschutzes, der Jugendhilfe und des Familienrechts werden rechtsstaatliche Garantieen nicht immer mit der gebotenen Sorgfalt beachtet. Wann wird endlich die dringend erforderliche Umstrukurierung des Kinder- und Jugendschutzes, vor allem die Einführung einer unabhängigen und wirksamen Rechts- und Fachaufsicht, die Einführung eines unabhängigen Fachgremiums, das die Entscheide betreffend den Entzug des Sorgerechts unverzüglich und in der Folge auch die Vorbereitung der Rückkehr regelmässig überprüft, sowie obligatorische Fortbildeung für das Personal der Jugendämter, vorgenommen?
Jede Demokratie fusst auf dem Prinzip der Gewaltentrennung, also der organisatorischen Verteilung der drei staatlichen Hauptfunktionen (Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verwaltung) auf voneinander unabhängige Organe (Legislative, Jurisdiktion, Exekutive) mit dem Zweck, ein politisches Gleichgewicht zur Verminderung von Machtüberschreitungen und Machtmissbrauch herzustellen.
Im Bereich des Familienrechts verlässt sich das Familiengericht nur allzu oft, ohne Überprüfung auf die Aussagen des Jugendamtes. Es werden weder die Eltern, noch Zeugen gehört. Warum?
Da Jugendämter, ausgenommen der Gerichtsbarkeit, keiner Fachaufsicht, keiner Kontrolle unterliegen, wirkt sich die m. E. fehlende Gewaltentrennung geradezu fatal aus. Machtüberschreitungen und Machtmissbrauch breiten sich ungehindert aus. Es besteht die Gefahr, dass das Jugendamt zu einem Staat im Staat mutiert.
Dazu kommt, dass die Wegnahme der Kinder oft in menschenverachtender Art und Weise erfolgt.Statt dass die möglichst rasche Rückkehr des Kindes vorbereitet wird, wird das Kind den Eltern entfremdet, durch direkte Beeinflussung des Kindes und / oder durch Verschleppen des Verfahrens durch das Jugendamt und die Gerichte.
Es besteht in mehrfacher Weise Handlungsbedarf. Wie lange will die Politik noch warten, bis sie sich dieser Problematik stellt und Abhilfe schafft?
Hochachtungsvoll
G.Munz
Sehr geehrte Frau Munz,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Jugendschutz, der leider durch zahlreiche Fälle in jüngster Vergangenheit wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist.
Sie kritisieren insbesondere, dass die Wegnahme von Kindern oft in menschenverachtender Weise erfolge und es aufgrund langer Verfahrensdauer zu einer Entfremdung der Kinder von ihren Eltern komme. Dieser Kritik an der Arbeit der Jugendämter stehen eben die Fälle, in denen Kinder zu Schaden gekommen und sogar getötet wurden, entgegen. Dem Schutz dieser Kinder muss für die Zukunft noch besser Sorge getragen werden.
Den Jugendämtern kommt beim Kinderschutz eine besondere Aufgabe zu: Sie sollen Kindeswohlgefährdungen abwenden, sie sollen verhindern, dass Kinder verwahrlosen, dass die misshandelt werden. Besteht eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen – ohne eine Entscheidung des Familiengerichts abzuwarten. Das Jugendamt ist bei der Inobhutnahme auch verpflichtet, unverzüglich den Personensorgeberechtigten (meistens sind das die leiblichen Eltern) zu benachrichtigen. Widerspricht der Personensorgeberechtigte der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt bei Gefährdung des Kindeswohls eine Entscheidung des Familiengerichts herbeizuführen. Das Jugendamt kann also dauerhaft keine "Kinder wegnehmen", da im Streitfall immer das Familiengericht entscheiden muss.
Wie bei allen Menschen sind Versäumnisse, Fehlprognosen oder auch handwerkliche Fehler der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter sind nie gänzlich auszuschließen. Aber: Als Behörde der öffentlichen Verwaltung steht das Jugendamt unter staatlicher Aufsicht und unterliegt der Kontrolle der Verwaltungsgerichte. Erst im Rahmen dieser eng formulierten Befugnis ist das Jugendamt berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind. Eltern müssen nicht zuwarten, bis das Familiengericht eine Entscheidung trifft. Sie können vielmehr gegen die Inobhutnahme vor dem örtlich zuständigen Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragen. So unterliegt die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Darüber hinaus bitte ich Sie zu bedenken, dass die Jugendämter stets im Blickpunkt der Öffentlichkeit und der Medien stehen: sie werden genauso getadelt, wenn ohne zureichenden Grund ein Kind aus der Familie geholt wird, wie wenn sie Hinweisen nicht nachgehen oder das Gefährdungsrisiko falsch eingeschätzt haben. Die Angst, eventuell zu spät einzugreifen, setzt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter stark unter Druck und kann in seltenen Fällen sicherlich auch zu falschen Einschätzungen führen.
Meiner Ansicht nach wäre es für das Ziel, das Kind in einer akuten Krisensituation vor Gefahren zu schützen, sogar kontraproduktiv, wollte man die Tätigkeit des Jugendamtes von der Entscheidung anderer Behörden oder Gerichte abhängig machen.
Ich habe Verständnis dafür, dass Sie, Frau Munz, an dieser Stelle für die Kinder sprechen, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen müssen und denen eventuell durch das Eingreifen der Behörden zusätzliche Probleme entstanden sind. Es ist gut und richtig, dass auch diese Seite der Problematik nicht in Vergessenheit gerät. Eltern sind zudem überaus wichtig für eine gesunde und glückliche Kindheit. Die Begleitung der Eltern, ihre Unterstützung und Hilfestellung zur Bewältigung eines Familienalltags ist daher ein wichtiger Aspekt, dem wir gleichermaßen unsere Aufmerksamkeit widmen wollten.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Hennrich