Frage an Michael Hennrich von Stefan P. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Hennrich,
mit großer Sorge lese ich dieser Tage die Berichte über mögliche Steuersenkungen. Um uns Bürger von Versäumnissen in der EU - Finanzpolitik und der Werbung für ein vereintes Europa einschliesslich der zugehörigen Opfer abzulenken und, noch schlimmer, zur Stützung des Koalitonspartners wird der durch mich hoffnungsvoll beobachtete Kurs der nachhaltigen Sanierung des Staatshaushaltes einmal mehr dem Populismus geopfert.
Auf diese Weise fühle ich mich von der Politik nicht ernstgenommen, auf diese Art und Weise erarbeitet sich die Politik keine Achtung und kein Vertrauen.
Ich wünsche mir für unsere Kinder, für uns und für unser Land einen aufrichtigen Umgang mit unseren finanziellen Resourcen und bin auch bereit, dazu meinen Teil beizutragen und möchte daher gerne von Ihnen erfahren, wie Ihre Einstellung zu diesem Thema ist, und was Sie gegebenfalls gegen diese Entwicklung zu tun gedenken.
Vielen Dank und freundliche Grüße
Stefan Preisinger
Sehr geehrter Herr Preisinger,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 27.06.2011.
Ihre Sorge, dass Maßnahmen wie die anstehende Steuerreform letztlich auf den Schultern und zulasten der jüngeren Generationen ausgetragen werden, kann ich nachvollziehen. Denn auch ich bin verärgert über die öffentliche Debatte zum Thema Steuersenkungen, die in der Tat den Eindruck vermittelt, als wolle man hier dem Populismus anheim fallen.
Wie Sie wissen, gibt es hier zwei klare Unterschiede zwischen den Positionen der FDP und der CDU. Wie unser Finanzminister Schäuble bin ich der Ansicht, dass die Haushaltskonsolidierung absoluten Vorrang hat. In dieser Ansicht bestärkt mich auch die gegenwärtige Finanzkrise in der Europäischen Union, die meines Erachtens sehr deutlich macht, wie wichtig ein konsolidierter Haushalt für den Bestand eines Landes ist. Für großangelegte Steuersenkungen sehe ich hier keinen Platz, selbst wenn es Deutschland konjunkturell betrachtet zur Zeit sehr gut geht.
Andererseits müssen wir das Problem der kalten Progression dringend lösen. Zum Hintergrund: Durch die steigenden Einkommen haben sich die Einkünfte in Deutschland in den vergangenen Jahren stark erhöht, während der Eckwert, bei dem der Spitzensteuersatz zu wirken beginnt, gleich bzw. ähnlich geblieben ist. Die „kalte Progression“ wirkt damit wie eine Art heimliche Steuererhöhung.
Insbesondere bei niedrigeren Einkünften schlägt dies durch den anfangs starken Tarifanstieg deutlich stärker zu Buche als bei hohen Einkünften. Besonders problematisch ist dies, wenn mit nominalen Lohnerhöhungen lediglich die Preissteigerung ausgeglichen wird (Inflation) und dann allenfalls der Fiskus profitiert. Das hat zur Folge, dass immer mehr Steuerpflichtige in einen höheren Steuersatz „hineinwachsen“, obwohl ihre relative wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht zugenommen hat.
Um es mit einem Beispiel zu verdeutlichen:
Ein verheirateter Facharbeiter verdient im Jahr 2011 brutto 43 000 Euro. Wegen der Inflation bekommt er 2012 von seinem Arbeitgeber 2,5 Prozent mehr – das sind dann 44 075 Euro. Die Einkommensteuer steigt von 4644 auf 4902 Euro. Nominal steigt so das Nettoeinkommen zwar von 29 380 Euro auf 29 973 Euro. Berücksichtigt man jedoch die Preissteigerung, sinkt das Nettoeinkommen auf 29 242 Euro. Damit sinkt das Realeinkommen um 138 Euro.
Unser Ziel muss es daher sein, dass nicht jeder zusätzlich verdiente Euro so stark belastet wird wie bisher.
Gleiches gilt für die Glättung des „Mittelstandsbauchs“. Der entsteht, weil der progressive Steuertarif zwischen 14 und 42 Prozent nicht gleichmäßig steigt, sondern bis zu einem Einkommen von 13 469 Euro sehr steil. Bereits von 13 470 Euro an verlangt der Fiskus rund 24 Prozent (23,97 Prozent). Nach diesem „Knick“ verläuft die Kurve wesentlich flacher, bis bei 52 882 Euro 42 Prozent gelten. Folge ist, dass vor allem kleinere und mittlere Einkommen im Vergleich zu höheren Einkommen proportional höher belastet werden.
Im Hinblick auf die Lösung dieser beiden Probleme sehe ich dringenden Handlungsbedarf durch die Politik. Eine damit verbunden Steuerreform muss von unseren Finanzexperten alsbald in Angriff genommen werden – aber bitte ohne viel Bohei und aufmerksamkeitsheischende Blicke.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Position nachvollziehbar darlegen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen aus Berlin
Michael Hennrich